Gemeinsam können wir die Faschisten von den Straßen fegen!
Seit Ende Juli eskalieren in Großbritannien antimuslimische Pogrome: Rechtsextreme zogen durch die Straßen der Großstädte, attackierten Moscheen, setzten Flüchtlingsunterkünfte in Brand, plünderten Geschäfte und griffen Migrantinnen und Migranten an. Für den 7. August planten die Rechten nun Märsche und Angriffe insbesondere gegen Organisationen zur juristischen Unterstützung von Geflüchteten. Zehntausende stellten sich ihnen in ganz England entgegen und verhinderten so weitere Ausschreitungen. Die Welle rechter Gewalt ist die schlimmste Konfrontation mit dem Faschismus, die das Land seit vielen Jahrzehnten erlebt. In Deutschland sitzen wir auf einem vergleichbaren Pulverfass. Ein Kommentar von Victoria Berger
Die Ausschreitungen begannen, nachdem ein Mann im nordwestlichen Southport drei Mädchen ermordet hat – rechte Influencer und Politiker griffen den Fall auf und verbreiteten die Falschinformation, der Täter sei Asylbewerber und trage einen muslimischen Namen. Die Morde und die Lügen über sie instrumentalisierten die Faschisten anschließend, um damit eine gewaltige Welle rassistischer Gewalt loszutreten. Die Bilder waren erschreckend: Hunderte gewaltbereite Rechte zerstörten in Städten im ganzen Land Geschäfte von Migrantinnen und Migranten, bedrohten gewaltsam insbesondere muslimische Menschen, setzten Hotels in Brand, die von der früheren Regierung zur Unterbringung von Asylbewerbern umfunktioniert worden waren und grölten dabei »Wir wollen unser Land zurück«, »Raus aus England« oder auch »Stop the boats« – ein Slogan, mit dem ursprünglich die konservativen Tories um Rishi Sunak Wahlkampf geführt hatten und der nun bei rechtsextremen Mobilisierungen auftaucht.
Die Morde von Southport und die rechte, von Social Media angetriebene Desinformationskampagne waren der Auslöser für die Explosion von Hass und Gewalt auf den Straßen. Das Klima jedoch, in dem dies erst möglich wird, schaffen andere: Seit den 1970er Jahren haben Labour- und Tory-Regierungen versagt , den Lebensstandard der britischen arbeitenden Klasse anzuheben, stattdessen wurde das oberste Prozent märchenhaft reich, während Sozialleistungen oder etwa der NHS, der staatliche Gesundheitsdienst, kaputtgespart wurden. Die Gewalt in Großbritannien ist auch die Folge 14 Jahre konservativer Tory-Regierung. Eine Regierungspolitik, durchdrungen von Rassismus, Sündenbock-Kampagnen und staatstragender antimuslimischer Hetze, stärkt die extreme Rechte und die Faschisten, die vom Hass auf jahrzehntelangem neoliberalen Kapitalismus und Verarmung zehren, und die in Großbritannien eine lange Tradition und viele Gesichter haben.
Die wesentliche Triebfeder hinter den rassistischen Pogromen sind Tommy Robinson (eigentlich Stephen Yaxley-Lennon) und seine English Defence League (EDL), eine gewaltbereite antimuslimische Straßentruppe. In der Ideologie von Robinson finden wir die gefährliche Mischung faschistischer Ideologie wieder, die uns bei der europäischen Rechten gegenwärtig in vielen Ländern begegnet. Ziel ihrer Angriffe sind in erster Linie Muslime, Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten sowie Queers, jedoch ist auch die Palästina-Bewegung mittlerweile Teil des Feindbilds (Robinson eröffnete seine Rede vor tausenden Unterstützern am 27. Juli mit den Worten: »Keine palästinensische Flagge in Sicht, so sollte unsere Hauptstadt aussehen.«) und auch ein positiver Bezug auf das koloniale Projekt Israel ist auffallend – so lässt sich Robinson zum Beispiel gern mit einem Shirt ablichten, auf dem das Logo der israelischen Armee prangt. Verbindendes Element ist der bis zum Genozid getriebene antimuslimische Rassismus und der ethnonationalistische Standpunkt. Motive, die sich auch in Deutschland bei der AfD finden lassen.
Entscheidend für das gestärkte Selbstbewusstsein der britischen Rechten ist auch die Existenz der Partei Reform UK um Nigel Farage, der den Hass nach den Morden in Southport anstachelte, indem er die Lüge verbreitete, dass die Behörden »nicht die Wahrheit« über den Mordverdächtigen sagten. Er fügte hinzu: »Was ich weiß, ist, dass in unserem einst so schönen Land etwas furchtbar schief läuft« – letztlich eine weichgespülte Variante der »Wir wollen unser Land zurück«-Sprechchöre.
In den abgehängten britischen Regionen war Farage die einzige Kraft, die bei den Wahlen vom 4. Juli 2024 nennenswert zulegen konnte. Wählerinnen und Wähler, die sich 2019 angesichts des Versprechens eines Brexits noch für die Tories entschieden hatten, wanderten nicht zu Labour, sondern nach rechts, auch angesichts der uneingelösten Versprechen der Konservativen, Migrantinnen und Migranten verstärkt abzuschieben. Farage sieht die Chance, Arbeiterinnen und Arbeiter, gebeutelt von Angriffen auf ihre Löhne und Sozialleistungen, der anhaltenden Krise des Gesundheitswesens und ruinös teuren Wohnungen, zu täuschen, indem er behauptet, ihr Problem seien zu viele Migranten, die auf kleinen Booten über den Ärmelkanal kommen. So gewinnt er in Zeiten verschärfter Krisen an Wählerstimmen – und öffnet dem faschistischen Terror-Mob und der EDL die Tür zu den Straßen.
Doch Widerstand ist möglich: Nachdem die Faschisten drohten, am 8. August in 100 Orten Sozialzentren, Anwaltskanzleien und Organisationen zur Unterstützung von Geflüchteten anzugreifen, stellten sich ihnen Zehntausende – unter ihnen viele muslimische Menschen, Sozialistinnen und Sozialisten, gewerkschaftlich Organisierte und auch Teile der Palästinabewegung – entgegen.Die Rechtsextremen mussten entmutigt abziehen, tauchten gar nicht erst auf oder versteckten sich vereinzelt oder fanden sich eingekesselt von Gegendemonstranten hinter Polizeiketten wieder.
Auch in Deutschland stehen wir einer selbstbewussten Rechten gegenüber, die – gestärkt durch eine kriegstreiberische »Wir müssen endlich mehr abschieben«-Ampelregierung und orchestriert durch die faschistische AfD – immer häufiger den Schritt auf die Straße wagt. Der Blick auf die Vorfälle der letzten Wochen liefert uns ein bedrohliches Bild: der Macheten-Angriff auf einen Linke-Wahlkampfstand, ein krankenhaus geprügelter DGB-Gewerkschafter (beides in Sachsen), Nazi-Aufmärsche gegen CSDs oder ein versuchter Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Stuttgart sind nur einige Beispiele. In Deutschland hat der Funke für organisierte Pogrome wie in Großbritannien oder Ausschreitungen wie in Chemnitz 2018 noch nicht gezündet. Aber die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen im September werden das Selbstbewusstsein der Rechten noch einmal stärken.
Trotzdem können wir sie schlagen. Die jüngsten Erfolge der Bewegung in Großbritannien zeigen uns das Potenzial breiter Massenmobilisierungen, die in der Lage sind, die Faschisten von den Straßen zu vertreiben. Die antirassistische Bewegung muss nun auf diesem Erfolg aufbauen.
Immer neue faschistische Organisationen gedeihen auf dem fruchtbaren gesellschaftlichen Nährboden von Krise, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Unser Feind sind nicht nur die Symptome einer kranken Gesellschaft, sondern das System selbst. Wir sind alle aufgerufen, uns an den sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen zu beteiligen, die unseren Bossen und der Regierung zusetzen. Hier entsteht das Selbstbewusstsein, das die Suche nach Sündenböcken für eine verfehlte Regierungspolitik überflüssig macht.
Aber unser Hauptfeind bleibt der europaweit aufstrebende Faschismus. Wenn wir ihn nicht schlagen, werden die Nazis jeden Widerstand unmöglich machen:Ob in Großbritannien oder Deutschland – bleiben wir den Faschisten auf den Fersen.