Nachdem Massenproteste die Diktatur gestürzt haben, sind die nächsten Schritte entscheidend, um einen wirklichen Wandel zu erreichen. Von Yuri Prasad
In einem beeindruckenden Sieg für die protestierende Studentenbewegung ist die Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina, am Montag zurückgetreten und mit einem Hubschrauber nach Indien geflohen. Für die Zehntausenden von Menschen, die sich der Ausgangssperre widersetzt hatten und sich erneut auf eine blutige Schlacht mit Hasinas Armee und Polizei vorbereiteten, war diese Nachricht ein besonderer Moment.
Polizisten und Soldaten hatten im Vorfeld bereits Hunderte von Studenten getötet, bevor das jüngste Massaker am vergangenen Sonntag die Zahl der Toten um weitere 100 erhöhte.
Jubelszenen nach dem Abgang Hasinas
Kein Wunder, dass der Abgang der Premierministerin zu wilden Jubelszenen führte. »Es ist der Sieg der Studenten, der Sieg des Volkes. Nach langer Zeit sind wir froh, ein diktatorisches Regime hinter uns zu lassen«, sagt Towfiqur Rahman, einer der Demonstranten. »Man kann die Wut eine Zeit lang unterdrücken, aber sie bricht aus. Der heutige Tag ist der Beweis dafür«, fügt er hinzu.
Jubelnde Demonstranten stürmten unter anderem das palastartige Haus der ehemaligen Premierministerin in der Hauptstadt Dhaka. Sie nahmen alles mit, was sie tragen konnten und verwüsteten das Haus anschließend. Während einige ihre Luxusmöbel auf die Straße trugen und für Fotos posierten, kleideten sich andere in Hasinas Saris. Einige der Demonstranten machten sich sogar mit Hühnern aus der eigenen Zucht der Diktatorin davon.
Auch die Häuser und Büros von Hasinas Verbündeten, darunter führende Mitglieder ihrer Awami-Liga-Regierung, wurden geplündert. Videoaufnahmen zeigten, wie Randalierer in das Haus des Finanzberaters der ehemaligen Premierministerin eindrangen. Er hatte Hasina und ihren Kumpanen geholfen, das Land zu plündern und sich selbst zu bereichern. »Nehmt alles, was ihr könnt. Nehmt alles«, hört man eine Frau in dem Video sagen. »Ihr leistet großartige Arbeit. Sehr gut, sehr gut.«
Gespräche über Übergangsregierung – aber Vorsicht: Armee zögert bei Umsetzung von Versprechungen
Am Montagabend trafen sich die Armee und die seit langem unterdrückte Oppositionspartei, die Bangladesh National Party (BNP), um Schritte für eine Übergangsregierung zu planen. Aus Angst vor einer anhaltenden Straßenbewegung und landesweiter Instabilität boten sie der Bewegung rasch Zugeständnisse an. Die Armee kündigte freie Wahlen innerhalb von drei Monaten und die Freilassung aller gefangenen Demonstranten an.
Im Gegenzug stimmten die Studentenführer der Forderung der Armee zu, den zivilen Ungehorsam zu beenden. Auch die BNP ging auf das Angebot ein, nachdem die Armee zugestimmt hatte, ihre Vorsitzende, Khaleda Zia, aus dem Gefängnis zu entlassen.
Am Dienstagnachmittag hatte die Armee jedoch nur einige wenige Demonstranten freigelassen, so dass Familien und Mitstreiter befürchteten, dass die Behörden die Aktivisten in der Haft schwer gefoltert haben könnten. Diese Verzögerung signalisiert, dass jetzt der gefährlichste Moment des Aufstandes da ist.
Druck der Straßen in die Betriebe tragen, um tiefer gehende Veränderungen zu erreichen
Die Armee wird hoffen, dass die Bewegung abebbt und die Studierenden die Straßen verlassen, um in die wieder geöffneten Hochschulen und Universitäten zurückzukehren. Ein solcher Schritt würde den Druck auf das Militär verringern – und könnte es ermutigen, die versprochenen Wahlen immer weiter herauszuzögern.
Jahrzehntelang hat die Awami-Liga die Generäle verwöhnt und ihnen lukrative Regierungsaufträge sowie korrupte Geschäfte angeboten. Die Truppen schickte die Regierung in ›friedenserhaltende‹ Auslandseinsätze der Vereinten Nationen, die genauso gut bezahlt wurden wie ein Job in Übersee.
Da das Wachstum des Bruttoinlandproduktes in Bangladesch im Durchschnitt jahrelang über sechs Prozent lag, war viel Geld in den Kassen der Regierung, mit dem man sich Freunde und Einfluss kaufen konnte. Nur wenig von diesem Reichtum kam aber bei den Armen und der Mittelschicht an, die stattdessen jahrelange Teuerungen bei den Lebenshaltungskosten hinnehmen mussten.
Die Armee wird bestrebt sein, ihre Privilegien zu bewahren. Und das könnte bedeuten, dass sie einen Sitz am Tisch einer neuen Regierung fordert oder ganz auf die Demokratie verzichtet.
Der einzige Schutz dagegen ist, dass die Studentenbewegung mobilisiert bleibt und ihre Forderungen auf die der Arbeiter in den Fabriken, Mühlen und Häfen ausweitet.
Freie Wahlen sind nur der Anfang. Die Arbeiter und Armen in Bangladesch, einem Land mit 170 Millionen Einwohnern, wollen eine neue Gesellschaft, die ihnen zugute kommt und nicht nur den Plünderern an der Spitze.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Übersetzung aus der britischen Zeitung Socialist Worker.
Übersetzung: Frank Dunne