Interview mit Wieland Hoban zur Unterdrückung der Palästina-Solidarität in Deutschland
Nachdem der Gaza-Krieg am 7. Oktober ausbrach, versuchten Bundes- und Landesregierungen Demonstrationen in Solidarität mit Palästina zu unterdrücken. Proteste gegen die Bombardements der israelischen Regierung wurden und werden von Regierenden und Medien entweder ignoriert, oder pauschal als „antisemitisch“ denunziert. Wieland Hoban, Vorsitzender der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, nimmt im Interview Stellung zur Logik hinter der Repression.
RevoLinks: Innenministerin Faeser rühmte sich, dass im ersten Monat des Krieges ein Viertel aller Kundgebungen verboten worden seien. Dennoch fanden auch Großdemonstrationen statt, zum Beispiel in Berlin und Frankfurt. Kannst Du uns einen Überblick über die tatsächliche Lage geben?
Wieland: Die Lage ist uneinheitlich, was vor allem damit zu tun hat, dass sich die Behörden vor Ort häufig nicht ans Gesetz halten und sehr willkürlich agieren. In den ersten zwei Wochen wurden die meisten angemeldeten Demos verboten, vor allem in Berlin. Dort gab es fast täglich neue Anordnungen und Auflagen. So wurde das Tragen von Kufiyas, den Palästinenser-Tüchern verboten, oder das Zeigen von Palästina-Flaggen. Bei einigen Demonstrationen kam es zu heftiger Polizeigewalt, wie jüngst gegen den Palästina-Block beim Gedenkmarsch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar. De facto wurde das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch die Innenbehörden unterdrückt.
Und in anderen Städten…?
In Hamburg waren wochenlang alle Palästina-Demos komplett verboten, es wurde sogar mit Freiheitsstrafen gedroht. In anderen Städten ging die Polizei nicht ganz so rabiat vor. Aber da die Demoverbote mehrmals gerichtlich gekippt wurden, warteten die Innenbehörden manchmal mit der Verbotsverfügung bis zur letzten Minute, damit es für richterliche Eilanträge keine Zeit mehr gab. Allerdings: Auch ohne Verbote kommt es immer wieder zu Schikanen durch Polizei und Verwaltung. Demonstrierende wurden und werden von der Polizei etwa wegen ihrer Schilder aus Demonstrationen herausgegriffen, obwohl diese weder gegen das Gesetz noch gegen spezifische Demoauflagen verstoßen haben. Aussagen in Reden werden unter den Verdacht der Volksverhetzung gestellt. Es handelt sich offensichtlich um eine gezielte Einschüchterungskampagne, damit die Leute Angst haben, Fakten zu benennen und überhaupt zu protestieren. Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus haben Angst, wegen Teilnahme an Palästina-Demonstrationen abgeschoben zu werden. Leider zu Recht.
Als einer der ersten Vereine ist „Samidoun“ verboten worden. Im Dezember gab es in Berlin Hausdurchsuchungen gegen die Gruppe „Zora“. Angeblich unterstützen diese Gruppen Terror. Was steckt wirklich dahinter?
Samidoun wird als Vorfeldorganisation der Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PFLP) angesehen, eine der traditionellen linken palästinensischen Organisationen. Ursprünglich gab es diese Verbindung, heute definiert sich Samidoun vor allem als Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene. Dass es zwischen Samidoun und PFLP einen Bruch gab, interessiert Staat und Medien in Deutschland herzlich wenig. Da die PLFP auf der EU-Terrorliste steht, wird nun auch Samidoun entsprechend gebrandmarkt. Dabei ist der Begriff des „Terrors“ beliebig definierbar. Palästinensischer Widerstand gilt grundsätzlich als „Terror“, ganz gleich, ob er bewaffnet oder unbewaffnet auftritt.
Auch der Begriff der „Unterstützung“ solcher Gruppen wird in der Praxis sehr gedehnt, oder?
Ja, im entsprechenden Gesetz geht es dabei eigentlich um materielle und organisatorische Beteiligung. Aber in der Praxis reichen häufig schon zustimmende Aussagen in den sozialen Medien aus, um ins Fadenkreuz der Repression zu gelangen. Bei den jüngsten Razzien gegen „Zora“ waren 170 Polizeibeamte im Einsatz, gegen eine Handvoll junger Leute zwischen 18 und 30 Jahren. Das zeigt deutlich, dass es auch hier um Einschüchterung und Machtdemonstrationen geht. Das Café „Karanfil“, ein migrantisch geprägter Ort in Berlin-Neukölln, wurde ebenfalls gewaltsam durchsucht. Es wurden Computer beschlagnahmt – weil dort angeblich Propagandaflyer gedruckt werden würden. Das ist reine Willkür. Die Botschaft der Polizei lautet: Ihr seid nirgends sicher, wir haben euch genau im Blick und werden nicht zögern, euch das Leben schwer zu machen – ob es legal ist oder nicht.
Du bist Vorsitzender der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Dennoch bist auch Du betroffen gewesen. Kannst Du etwas über die Angriffe gegen dich und die Jüdische Stimme sagen?
Wir wurden als Verein im Laufe der Jahre immer wieder angegriffen. Ob öffentlich wie zum Beispiel durch den Zentralrat der Juden, oder hinter den Kulissen durch Absagen von Veranstaltungen oder Sperrung unseres Vereinskontos. Manchmal wurde unsere Unterstützung der Boykottkampagne BDS gegen Israel genannt, manchmal reichen auch ganz allgemein unsere pro-palästinensischen Positionen. Im November gab es wieder im größeren Stil Angriffe gegen uns, weil wir im Berliner Kulturzentrum Oyoun eine Veranstaltung anlässlich unseres 20-jährigen Bestehens abgehalten haben. Schon lange davor, als wir den Raum reserviert haben, hat die Senatsbehörde vom Zentrum verlangt, dass es die Feier absagt, da wir angeblich „antisemitische“ Positionen vertreten würden.
Die von der SPD-Senatorin wird euch als jüdischem Verein „Antisemitismus“ vor? Das ist doch absurd!
Allerdings – leider ist das aber gar nicht so ungewöhnlich. „Antisemitismus“ wird von vielen Innenbehörden in den Bundes- und Landesregierungen als Kampfbegriff missbraucht, um jede Form israelkritischer Aktivität unterdrücken zu können. Kombiniert wird das gern mit finanzieller Erpressung. Auch in dem besagten Fall. Da die Fördermittel für Oyoun vom Berliner Senat bewilligt werden, wurde dies – wie mehrmals in der Vergangenheit – als Druckmittel eingesetzt. Oyoun hat sich nicht einschüchtern lassen. Deshalb wurde jetzt die Finanzierung des Kulturzentrums, die bis 2025 vereinbart war, zum neuen Jahr beendet. Das Zentrum klagt und ich hoffe natürlich, dass sie den Prozess gewinnen.
Demoverbote, Hausdurchsuchungen: Für wen ist die Palästina-Solidarität eigentlich so gefährlich? Steckt dahinter eine große Strategie oder agiert die Polizei eigenmächtig?
Die Bewegung stört das Image Deutschlands als großer Verbündeter Israels. Die Stoßrichtung wird ganz klar von oben angegeben – von Bundeskanzler Scholz, Innenministerin Faeser, Wirtschaftsminister Habeck, Außenministerin Baerbock und Bundespräsident Steinmeier. Aber die Umsetzung vor Ort ist oft willkürlich und eigenmächtig. Wenn die Stadt Frankfurt am Main drei Mal Demonstrationen verbietet, die vom Verwaltungsgericht wieder erlaubt werden, zeigt das doch eine völlige Missachtung bürgerlich-demokratischer Spielregeln, mit der sich die Bundesregierung doch sonst gerne brüstet, gerade mit Blick auf andere Staaten.
Die Unterdrückungsmaßnahmen sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist das öffentliche Klima, das durch Regierungen und Medien geschaffen wird. Heute wird nahezu jede propalästinensische Äußerung als „antisemitisch“ denunziert. Manche erinnert es an die Ära des McCarthyismus zu Beginn des kalten Krieges in den 50er Jahren, als in den USA eine Hatz gegen „Kommunisten“ zur Zerschlagung der Linken führte. Findest Du den Vergleich passend?
Der Vergleich ist sehr passend, auch wenn der ursprüngliche McCarthyismus zu noch härteren Repressalien führte. Während des Kalten Kriegs war der Antikommunismus Grundpfeiler der politischen Identität der USA, weshalb McCarthys Gremium auch den Begriff „un-American activities“ im Namen hatte. So ist es auch mit der „deutschen Staatsräson“: Die politische Unterstützung Israels, die natürlich nicht nur moralische, sondern auch sehr konkrete realpolitische Gründe hat, soll Teil der nationalen Identität Deutschlands sein. Es ist ein Ersatznationalismus, da der deutsche Nationalismus nach 1945 nicht mehr salonfähig war – allerdings sieht man auch, wie die Subsumierung dieser proisraelischen Haltung unter die deutsche Identität das Wiedererstarken eines echten deutschen Nationalismus begünstigt. Dies stärkt noch den Rassismus, wenn muslimische und arabische Migrantinnen und Migranten pauschal vorgeworfen wird, sie seien es, die vor allem den Antisemitismus nach Deutschland brächten. Dies relativiert die Gefahr, die von den echten Antisemiten, den Nazis ausgeht. Das ist ein Teile-und-Herrsche-Spiel, auf das wir nicht reinfallen dürfen. Der Kampf gegen Antisemitismus und gegen antimuslimischen Rassismus müssen für die Linke Hand in Hand gehen.