»Unter dem Strich haben wir heute nun ein Bölschefest ohne Nazi-Stand«
Gestern, Samstagnachmittag auf dem Bölschefest in Berlin-Friedrichshagen: eine bunte Gruppe aufgebrachter und entschlossener Anwohner bewegt sich vom S-Bahnhof durch das Festgewimmel Richtung Süden. Vor dem Stand der AfD sammeln sie sich und skandieren lautstark Parolen, darunter »AfD-Nazis – Raus aus dem Bölschefest«! Der Protest endet im Tumult, als die Polizei einen der Protestierenden herauspickt und unter Einsatz von Gewalt abführt. Wir haben den Festgenommenen interviewt.
RevoLinks: Frank, Du bist gestern auf dem Bölschefest von der Polizei festgenommen worden, weil Du an einem Protest gegen die AfD teilgenommen hast. Was ist passiert?
Frank: Am Freitagabend haben junge Leute mitbekommen, dass die AfD am südlichen Ende der etwa 1,5 km langen Bölschestraße einen großen Stand aufgebaut hat. Das war eine Provokation. Am gestrigen Samstag und heutigen Sonntag werden viele Tausende, wenn nicht Zehntausende Besucher erwartet. Irgendjemand hat die Information über Chatkanäle verbreitet. Gestern morgen schlug dann eine junge Linke vor, sich am S-Bahnhof Friedrichshagen zu versammeln. Da bin ich mit einigen Genossen von der Revolutionären Linken hingegangen. Einen klaren Plan hatten wir nicht.
Wie viele Leute sammelten sich dort? Und waren politische Kräfte beteiligt?
Ich schätze, am Anfang waren es 20 bis 30 Leute. Sichtbarer Anlaufpunkt war ein Lastenrad der Partei Die Linke mit Sonnenschirm, das eine junge Genossin aus dem Viertel mitgebracht hatte. Die Situation war unklar. Jemand bat mich, eine kurze Ansprache zu halten, um überhaupt die Protestierenden vom Laufpublikum unterscheiden zu können. In dem Moment identifizierte die anwesende Polizei mich als Ansprechperson und versuchte mich überzeugen, auf den Abschnittsleiter zu warten und eine Kundgebung anzumelden.
Wie hast Du darauf reagiert?
Da war ja keine Kundgebung, und ich wollte keine anmelden. Offenbar wollte die Polizei unbedingt vermeiden, dass wir zur AfD gelangen würden. Sie hätten uns einen Platz ein paar hundert Meter außer Sicht- und Rufreichweite zugewiesen. Das hätte sich dann für uns wie eine Niederlage angefühlt und die Nazis hätten sich ins Fäustchen gelacht. Um das zu vermeiden, löste sich daraufhin der Pulk kurzentschlossen auf und zog einzeln oder in kleinen Gruppen durch das Festgewimmel zu dem AfD-Stand, der etwa ein Kilometer weiter südlich lag.
Wie hat die AfD da auf euch reagiert?
Die AfD wurde von einer Reihe Polizisten abgeschirmt. Das war allerdings schon ein Erfolg für sich, da so die Festbesucher nicht mehr so zahlreich an den Stand herankamen. Da begannen wir zu klatschen und zu rufen. Die erste Parole war: »Wir sind viele, wir sind bunt, wir tun unseren Unmut kund!« Dann forderten wir in Parolen und kurzen Ansprachen, dass die Veranstalter der AfD keinen Stand auf dem Bölschefest genehmigen sollten.
Wie viele wart ihr?
Die Stimmung stieg und immer mehr Leute blieben bei uns stehen, um uns zu unterstützen. Am Ende waren es zwischen 70 und 80 Leute, das hat jemand gezählt. Viele hatten improvisierte Schilder, einer hatte einen bemalten Regenschirm gegen die AfD, andere Aufkleber auf dem Hemd mit Parolen gegen Rassismus und für ein solidarisches Miteinander.
Waren Parteien anwesend?
Es waren Leute aus Bürgerinitiativen unterschiedlicher Art dort, Leute von Die Linke, auch diverse Mitglieder kleinerer revolutionärer Gruppen. Die Leute vom benachbarten SPD-Stand haben uns Trillerpfeifen gegeben, damit wir die AfD besser stören. Die Mehrzahl der Protestierenden waren aber eindeutig einfach nur unorganisierte Leute aus dem Viertel, die die AfD und ihren Rassismus nicht ausstehen können. Ich kannte einige vom Sehen her.
Kannst Du uns etwas zum Hintergrund des Konflikts sagen? Es war nicht das erste Mal, dass das Bölschefest zum Schauplatz von Auseinandersetzungen mit der AfD geworden ist.
Das stimmt. Das Bölschefest ist ein buntes Volksfest im Berliner Südosten, an dem jedes Jahr viele Tausende, wenn nicht Zehntausende Besucher teilnehmen. 2017 bekam die AfD das erste Mal einen Standplatz zugewiesen, mittendrin vor der Kirche gegenüber dem Marktplatz. Das war eine Provokation für viele. Leute aus dem Umfeld von „Aufstehen gegen Rassismus“ und der Partei DIE LINKE organisierten den Widerstand. 2019 zogen dann rund 50 Leute mit Mülltüten vor den AfD-Stand. Sie forderten passierende Festbesucher auf, den Nazi-Müll zu nehmen und gleich in die bereitgestellten Mülltüten zu werfen. Das hat die AfD massiv gewurmt. Die Festveranstalter waren über den Stress genervt und haben in den folgenden Jahren an keine Partei mehr Stände vermietet.
Dann wart ihr die AfD nach 2019 los?
Ja, zumindest auf dem Bölschefest, was ein großer Erfolg ist. Im benachbarten Köpenick gibt es auch ein Volksfest. 2019 hatte die AfD ihren Stand relativ ungehindert durchführen können und am selben Abend noch fühlten sich vermutlich angetrunkene Nazis ermutigt, auf Immigranten oder Linke Jagd zu machen.
Wieso war die AfD dann dieses Jahr wieder da?
Davon waren wir auch vollkommen überrascht. Vorgestern kam ich von der Arbeit und hatte nicht die Idee, dass wir hier ein Problem haben würden. Und dann sah ich mich gestern Nachmittag auf einem Polizeirevier wieder.
Was hat die Polizei denn gemacht?
Die Polizei hatte den ganzen Tag lang Leute postiert. Sie ahnten wohl schon, dass die AfD einen Affront in Friedrichshagen darstellen und Unmut auf sich ziehen würde. Nachdem wir eine Stunde skandiert und geklatscht haben, wurde ich von einem Beamten individuell angesprochen mit der Bitte, mitzukommen und den Abschnittsleiter zu sprechen. Ich habe gesagt, dass ich gerne mit ihm spreche, aber nur an dem Ort, wo ich gerade stand – also inmitten der anderen AfD-Gegner. Offenbar hat die Polizei sich dazu nicht imstande gesehen. Stattdessen wurde zwischenzeitlich eine Sondereinheit angefordert, wahrscheinlich vom nahegelegenen Fußballstadion. Die Beamten griffen mich von hinten völlig überraschend an, rissen mich an den Armen und am Hals mit und warfen mich in einen Einsatzwagen.
Wir haben die anderen Protestierenden reagiert?
Die Reaktion war spontan empört, ein Riesentohuwabuhu. Alle riefen und viele wollten mir zu Hilfe kommen. Noch während des gewaltsamen Polizeiangriffs fühlte ich mich als Teil des gemeinsamen Widerstands. Es war ein solidarisches Gefühl, das hat mir sehr geholfen. Mir wurde im Nachhinein von vielen erzählt, die es einfach nicht glauben konnten, wie mitten auf einem Volksfest die Polizei in dieser Brutalität einen Menschen herauspickt, abführt und irgendwohin bringt. Und das, wo im ersten Halbjehr die Demokratiebewegung gegen die AfD auf allen Medienkanäle gelobt worden ist und die Regierung Zivilcourage angemahnt hat. Die Berliner SPD-Innensenatorin Spranger verteidigt in der Praxis aber das Recht der AfD, ihr rassistisches Gift überall zu verbreiten.
Wohin haben sie dich denn gebracht?
Nach einer Weile hatte sich die Polizei abgestimmt und mich mit sieben Beamten als Bewachung auf ein nahegelegenes Revier beim Allendeviertel gefahren. Da war kein Beamter am Wochenende anwesend. Der Einsatztrupp musste den Schreibkram auf der Wache selbst erledigen. Schon verrückt: Wenn in dem Viertel gerade ein Überfall an einem Samstag stattfindet, würde kein Anwohner jemanden auf der Wache antreffen. Aber um auf dem Volksfest den AfD-Stand zu schützen, fährt eine schwergerüstete Einheit wie in einem Ufo herum und greift Leute an. Nun habe ich eine Strafanzeige wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ am Hals, außerdem eine Ordnungswidrigkeit wegen Teilnahme an einer „ungenehmigten Demonstration“ oder ähnliches.
Hat sich der Stress denn gelohnt?
Auf jeden Fall! Viele sind im Viertel zusammengekommen. Das macht klar: Ganz egal, wie heute die Wahlen im benachbarten Brandenburg ausgehen – wir sind immer noch in der Mehrheit und können die AfD behindern, auch spontan. Nach dem Stress wurde für heute dann der AfD-Stand abgesagt! Das ist ein voller Erfolg, mehr hätten wir nicht erreichen können. Die Absage wurde dann zwar auch auf die Stände von CDU und SPD erweitert, aber es ist klar, dass der AfD-Stand das Problem ist. Unter dem Strich haben wir am heutigen zweiten Festtag nun ein Bölschefest ohne Nazistand – eine gute Generalprobe für das kommende Wahljahr.