Am 11. Januar will die AfD ihren Bundesparteitag im sächsischen Riesa abhalten. Das müssen wir verhindern. Die AfD hat 2024 bei den Landtagswahlen im Osten Rekordergebnisse mit 30 Prozent und mehr geholt. Auch aus den Bundestagswahlen im Februar wird sie aller Voraussicht nach gestärkt hervorgehen. Die Gefahr besteht, dass wir uns an diesen Zuspruch gewöhnen – oder resignieren. Beides wäre fatal. Victoria Berger beantwortet die wichtigsten Fragen.
Ist die AfD eine faschistische Partei?
Ja. Doch das war nicht immer so. Die Partei begann 2013 als diffuses Sammelbecken von Rechten ohne klare Richtung. Vereint waren sie in der Ablehnung des Euro, den sie für soziale Probleme aller Art verantwortlich machten. Und in ihrem Rassismus, insbesondere gegen Muslime und Geflüchtete. Lange war sich die Partei uneins, ob sie einen ultraliberalen Kapitalismus ohne soziale Sicherheit oder eine Volksgemeinschaft mit sicheren Renten für alle Deutschen bei Ausschluss aller ›Ausländer‹ in ihr Programm schreiben soll. Letztere Haltung hat sich mittlerweile durchgesetzt.
Die AfD änderte sich im Lauf der letzten zehn Jahre und entwickelte sich immer weiter nach rechts. Um Björn Höcke und andere bildete sich der sogenannte ›Flügel‹. Ihm ging es nicht um eine Koalitionsregierung mit CDU/ CSU, sondern um ein anderes System. Höcke spricht immer wieder auf Marktplätzen vor tausenden, manchmal so betont er stets, dass seine Partei die Menschen am Boden der Gesellschaft einsammeln will, um sie in seinem Sinn zu radikalisieren. Sein Ziel ist der Aufbau einer Massenbewegung, die den Staat mittels Terror übernimmt.
Auch wenn er sich 2020 formal aufgelöst hat, hat der faschistische ›Flügel‹ um Höcke sich gegen das nationalkonservative und das marktradikale Lager durchgesetzt. 2022 wurden auf dem AfD-Bundesparteitag in Riesa Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit harten Nazigruppen wie dem als Gewerkschaft getarnten Infiltrationstrupp ›Zentrum Automobil‹ aufgehoben.
Nicht alle führenden Gestalten in der AfD sind sich so klar über die Tradition, in der sie stehen, wie der Geschichtslehrer Höcke. Aber ohne oder gar gegen Höcke geht heute nichts mehr in der Partei. Diese Tatsache hat sich im Sturz der Parteivorsitzenden ausgedrückt, die nacheinander im Machtkampf mit Höcke gehen mussten – erst Parteigründer Lucke, dann Frauke Petry, schließlich Jörg Meuthen.
Wieso konnte sich der faschistische Flügel in der AfD durchsetzen?
Maßgeblich waren dafür rassistische Kampagnen auf der Straße. Angestoßen durch die antimuslimischen und flüchtlingsfeindlichen ›Pegida‹, eine obskure Gruppe gescheiterter Kleinbürger unter der Führung des Rotlichtkriminellen Lutz Bachmann, gingen in Dresden im Herbst 2015 wöchentlich Tausende gegen Asylsuchende auf die Straße. Bachmann erklärte, die Asylbewerber würden »raubend, teilweise vergewaltigend, stehlend und prügelnd unsere Städte bereichern«.
Diese Bewegung weitete sich massiv aus. Die AfD beteiligte sich federführend an dieser Stimmungsmache. Neonazis zettelten in Chemnitz im August 2018 Hetzjagden gegen Menschen an, die sie als ›Ausländer‹ ausmachten. Um diese Pogromstimmung in eine politische Massenbewegung zu verwandeln, führten AfD-Größen wie Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz eine Demonstration in der Stadt mit 11 000 Teilnehmern an. In derselben Woche im September 2018 marschierten tausende Neonazis im sächsisch-anhaltinischen Köthen auf und skandierten offen: »Nationalsozialismus jetzt, jetzt, jetzt!«
Warum bekennt sich die AfD dann aber nicht offen zur Nazivergangenheit?
Weil die Nazi-Verbrechen unpopulär sind und wegen des Verfolgungsdrucks durch die Behörden ist ein offenes Bekenntnis zu Adolf Hitler und der NSDAP keine Option für die AfD. Aber mit Wortspielereien und Anspielungen machen Höcke und andere führende AfDler ihren Anhängern immer wieder klar, dass sie sehr bewusst an die Tradition der NSDAP anknüpfen. So attackierte Höcke das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin als »Mahnmal der Schande« und forderte eine »geschichtspolitische Wende um 180 Grad«.
Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland erklärte vor der Jugendorganisation JA: »Nur wer sich zur Geschichte bekennt, hat die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zur Verantwortung für die zwölf Jahre.« Er meinte die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1933 und 1945. Im nächsten Moment relativierte er deren Verbrechen und sagte: »Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte«.
Die AfD kann die Erfahrung der frühen 30er Jahre nicht einfach wiederholen, da wir heute in völlig anderen historischen Umständen leben. Aber das ändert nichts daran, dass Höcke, Gauland und viele andere manchmal verstohlen, manchmal halboffen die Partei in die Tradition der Naziherrschaft stellen – um sie wiederzubeleben.
Sind die Wählerinnen und Wähler der AfD auch Faschisten?
Nein, keineswegs. Viele wählen die AfD, weil sie völlig abgegessen sind vom herrschenden System und so ihrem Frust freien Lauf lassen. Die AfD stellt sich als Anti-System-Partei dar. Das erklärt unter anderem, warum viele Beschäftigte in der Industrie sie wählen. Betriebsräte bei Opel in Eisenach schätzen, dass in dem Werk ein Drittel der Beschäftigten die AfD wählen – und das ist keine Ausnahme.
Ein anderer Grund sind die schlechten Alternativen. SPD und Grüne haben an der Regierung die Interessen des Kapitals bedient und die als vermeintlich ›fortschrittliche‹ Politik verkauft. Symptomatisch ist das Heizungsgesetz von 2023, mit dem der grüne Wirtschaftsminister Habeck die Kosten für den Klimaschutz im Wohnungsbau auf die Haus- und Wohnungseigentümer übertrug, die diese an die Mieter weiterreichten. Die Bild-Zeitung und andere reaktionäre Medien nutzten die Ängste vor unkontrollierbaren Belastungen aus und verhalfen der AfD so zu einem Durchbruch in den Umfragewerten.
Hinzu kommt, dass SPD und Grüne den rassistischen Debatten um Abschiebungen nichts entgegengesetzt haben, im Gegenteil. Vor den Wahlen zum Europaparlament und den Landtagen in Sachsen und Thüringen überboten sie sich Mitte 2024 vielmehr mit Vorschlägen zum Abschieben von Geflüchteten. Sie haben damit die Kernthese der AfD hoffähig gemacht: Die Lüge, Zuzug führe zu mehr Unsicherheit. So wurde die AfD für viele wählbar, gerade für junge Leute unter 24.
Dass es einen Unterschied zwischen Parteikern und Wählerschaft gibt, macht die Sache nicht ungefährlich. Aus Wählerinnen und Wählern können Anhänger werden und aus diesen Parteimitglieder und überzeugte Nazis. Diesen Prozess müssen wir stoppen und die Dynamik umkehren.
Wer steckt hinter der AfD? Wer ist ihre soziale Basis?
Die AfD versucht die Stimmen der Lohnabhängigen mit Rassismus und markigen Parolen gegen die Regierung zu gewinnen und an sich zu binden. Das macht die AfD keineswegs zu einer Arbeiterpartei. Ganz im Gegenteil ist die Partei im Kern kleinbürgerlich, wie alle faschistischen Parteien. ›Kleinbürger‹ heißt: Leute, die den alten und modernen Mittelschichten zwischen Kapital und Arbeit entspringen, häufig mit Einschnitten in ihrer Biografie.
Beispielhaft für einen klassischen Kleinbürger ist AfD-Fraktionsvorsitzender Tino Chrupalla, der einen Malerbetrieb besitzt und eine Handvoll Lohnabhängige beschäftigt. Ansonsten finden sich viele moderne Angehörige der Mittelschicht im Kern der AfD, wie Immobilienhändler und Vermögensberater. Ein prominentes Beispiel ist Alice Weidel. Sie arbeitete zunächst als Analystin in der Vermögensverwaltung der Bank Goldman Sachs und Allianz Global Investors, bevor sie sich als Unternehmensberaterin selbstständig machte.
Viele AfDler sind verkrachte Existenzen, die durch Brüche in ihrer Laufbahn auffallen. Eine Übersicht über alle Mandatsträger in Bundes- und Landtagen nach 2017 zeigt, dass nahezu ein Viertel von ihnen zuvor mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist.
Entlarvt die AfD sich am Ende nicht selbst?
Die AfD ist ein Haifischbecken. Die aggressive Atmosphäre entlädt sich immer wieder nach innen und führt zu zahlreichen Ausschlüssen und Parteiaustritten. Zwischen 2017 und 2021 verlor die Bundestagsfraktion auf diese Weise acht Abgeordnete, und seitdem weitere sieben. Der ausgeschiedene bayerische Abgeordnete Hansjörg Müller fasst seine Erfahrungen mit der AfD-Bundestagsfraktion 2021 so zusammen: »Ich habe noch nie so eine hinterfotzige, illoyale Ansammlung an menschlichen Wesen gesehen … Es hat mich nur noch angekotzt.«
Zahllos sind die Aussagen, mit denen die AfD ihre Inkompetenz oder ihre Unmenschlichkeit beweist. In einem Buch veranschlagte Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD zu den letzten Europawahlen, die Zahl der aus Deutschland zu deportierenden Personen auf 15 Millionen. Das würde ein Terrorregime mit Massenlagern erfordern. Am Ende durfte Krah im Wahlkampf nicht mehr für die AfD auftreten, ebenso wie die Nummer zwei auf der AfD-Liste, Petr Bystron, gegen den wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche ermittelt wurde.
Dennoch wurde und wird die AfD gewählt. Sie verfügt über ein soziales Reservoir aus verhetzten Kleinbürgern und kann mit ihrem Rassismus auch verzweifelte und frustrierte Lohnabhängige erreichen. Deshalb ist es ein Fehler, wenn sich Sahra Wagenknecht oder andere mit AfD-Größen wie Alice Weidel in Talkshows setzen, um sie argumentativ zu ›stellen‹. In Wirklichkeit verschafft man der Partei und ihrer Hetze lediglich Aufmerksamkeit und den Anstrich von Seriosität. Mit denjenigen, die einen umbringen wollen, sollte man nie über die Gründe dafür diskutieren.
Ist ein Verbotsverfahren die richtige Antwort?
Im November hat eine Gruppe von 113 Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien einen Antrag eingebracht, um ein Verbotsverfahren gegen die AfD auf den Weg zu bringen und ihr Vermögen einzuziehen. In einer Umfrage sprechen sich unter den Anhängerinnen und Anhängern der Grünen 69 Prozent für ein solches Verfahren aus, bei der SPD 58 Prozent. Für ein Verbot treten daneben auch der bayerische Innenminister ein sowie Kräfte in der antifaschistischen Bewegung.
Tatsächlich wäre ein solches Verfahren ein fataler Irrweg. Erstens würde es sich jahrelang hinziehen und böte damit der AfD hervorragende Möglichkeiten, Sympathien zu sammeln und die eigene Anhängerschaft abzuhärten. Zweitens würde ein Verbotsverfahren die Schwäche und Hilflosigkeit der AfD-Gegner unterstreichen. Und drittens wäre es schädlich, auf eine Staatsgewalt zu hoffen, die bei jeder Gelegenheit die Linke und deren Aktivitäten attackiert.
Ein Verbotsverfahren würde den antifaschistischen Widerstand lähmen, da es die wünschenswerte Eigeninitiative von der Straße ins Leere laufen lässt und in die Hände bürgerlicher Gerichte legt. Eine Steilvorlage für die Staatsgewalt, um im nächsten Schritt linke Organisationen zu drangsalieren und zu verbieten.
Was können wir dann gegen die AfD tun?
Die AfD gewinnt immer dann, wenn viele Menschen verzweifeln und diffuse Ängste haben. Die werden gegen beliebige Sündenböcke kanalisiert. Die AfD profitiert vom Gift, mit dem die kapitalistischen Ausbeuter die Ausgebeuteten gegeneinander aufhetzt. Daraus, dass die Nazis die rassistische, frauenfeindliche und menschenverachtende Rhetorik bürgerlicher Politiker in physische Gewalt verwandeln, beziehen sie ihre Kraft. Hitler formulierte es einst so: In seiner Bewegung solle sich der kleine Wurm als Teil eines großen Drachen fühlen.
Dagegen hilft nur eins: Stärke und Solidarität. Große Klassenkämpfe, die die Lohnabhängigen vereinen und Erfolge bei der Verteidigung des eigenen Lebensstandards geben, machen Mut und schweißen zusammen. Vor allem aber müssen wir die AfD öffentlich und massenhaft konfrontieren, um ihr den Anschein der Stärke zu nehmen.
Tatsächlich ist die kleinbürgerliche Basis der AfD sehr wankelmütig und wird nur durch den unmittelbaren Wahlerfolg zusammengehalten. Wenn Veranstaltungen nachhaltig gestört oder gesprengt werden, wenn Massen der AfD auf der Straße entgegentreten und in deren Reihen Unwohlsein und Angst erzeugen, dann verliert die Partei. Dann können wir den harten, unbelehrbaren faschistischen Kern von seinem weichen Umfeld trennen.
Es gibt viele Bespiele in der Geschichte, wie aufsteigende faschistische Parteien auf diese Weise gestoppt worden sind. So die NPD in den 70er Jahren, oder die ›Republikaner‹ unter dem einstigen SS-Mann Schönhuber zu Beginn der 90er Jahre. Mobilisierungen wie gegen den AfD-Parteitag in Riesa im Januar 2025 besitzen eine zentrale Bedeutung und können auf Landesebene oder in vielen kleinen Orten als Beispiel dienen.
Wir dürfen nicht mehr warten, müssen jetzt handeln, vereint die Massen mobilisieren, mit ihnen die AfD konfrontieren und den Kampf gegen ein System führen, das Nazis immer wieder an die Oberfläche spült.