VW-Arbeiter: »Ihr wollt Krieg – wir sind bereit!«
Mit großen Worten bemühte sich die IG Metall, den Deal bei Volkswagen zu verkaufen, der am 20. Dezember geschlossen worden ist. Ein ›Weihnachtswunder‹ habe die Standorte des Konzerns gerettet. Tatsächlich haben die Beschäftigten massive Lohneinbußen hinnehmen müssen. Und die Belegschaften werden um rund ein Drittel von 120 000 auf rund 85 000 geschrumpft. Wie konnte es soweit kommen?
Von Karl Naujoks
An Kampfbereitschaft hat es den Kolleginnen und Kollegen bei VW nicht gefehlt. Im Gegenteil. Schließlich hatte der Konzern noch im Vorjahr rund 23 Milliarden Euro Reingewinn eingefahren. Dennoch kündigte das Management im September den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, stellte vage die Schließung von drei Werken in Deutschland in den Raum und fabulierte von pauschalen Lohnkürzungen von 10 Prozent.
Die Wut über diese Arroganz entlud sich in einer massiven Mobilisierung. Am ersten Werktag nach Ende der sogenannten Friedenspflicht traten 98 650 Mitarbeitende am 2. Dezember in den Warnstreik. Allein in Wolfsburg nahmen rund 47 000 Beschäftigte an einem Demonstrationszug durch das Stammwerk teil. Bei einer Kundgebung vor dem Vorstandshochhaus skandierten sie in Sprechchören »Streikbereit! Bundesweit!«.
Hunderte von Arbeitern im Volkswagen-Werk in Hannover versammelten sich vor Tor 3, zeigten Plakate mit der Aufschrift ›Ihr wollt Krieg, wir sind bereit!‹ und schwenkten die roten Fahnen der Gewerkschaft IG Metall.
IG Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger nannte es den »wuchtigen Aufschlag zu einem Protestwinter« gegen die »Albtraumpläne« des VW-Konzerns. Er kündigte an: »Wenn nötig, wird das der härteste Tarifkampf, den Volkswagen je gesehen hat«.
Ausverkauf durch die IG Metall-Führung
Leider blieb es bei Worten. Am 9. Dezember folgten erneut Arbeitsniederlegungen an neun Standorten – dieses Mal für je vier Stunden pro Schicht. Die Mobilisierung und die Stimmung waren weiter hoch.
Doch dann drehte die IG Metall-Führung der Bewegung den Saft ab. Während sie immer wieder betonte, zu einem Deal noch vor Weihnachten bereit zu sein, ging sie unter der Leitung von Gröger am 16. Dezember in einen Verhandlungsmarathon, ohne auch nur zu einer einzigen begleitenden Kampfaktion aufzurufen.
Stattdessen lag ein Angebot auf dem Tisch, das Verhandlungsführer Gröger und Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo bereits Ende November proaktiv in den Raum gestellt hatten. Ihr sogenannter ›Zukunftsplan‹ sah die Senkung der Personalkosten um 1,5 Milliarden Euro vor, unter anderem durch Verzicht auf Gehaltsteigerungen bis 2027.
Vorauseilende Zugeständnisse
Vom Standpunkt der Verhandlungsdramaturgie grenzte das im Grunde genommen an Selbstsabotage. Die IG Metall-Führung reagierte mit vorauseilenden, einseitigen Zugeständnissen auf vage Drohungen, während sie wiederholt den unbedingten Willen zu einem raschen Abschluss vor Weihnachten artikulierte. Die Ankündigung, irgendwann einmal den ›Streikhammer‹ herauszuholen, aber während der Verhandlungen die Produktion nicht zu unterbrechen, ließ die IG Metall-Führung als Zauderer erscheinen. Offenbar hatte sie Angst, dem ›eigenen‹ Unternehmen ernsthaften Schaden zuzufügen.
So wurde das VW-Management in eine bequeme Position versetzt und zur Härte in den Verhandlungen ermutigt. Zumal die IG Metall-Führung den absehbar schlechten Deal an die Belegschaften verkaufen muss – nicht als Zumutung des VW-Managements, sondern als einen ›Erfolg‹ der Gewerkschaft.
Die erzielten Einschnitte waren dementsprechend historisch, urteilte die Unternehmerzeitung Handelsblatt. Unter anderem wurde vereinbart:
■ Abbau von 35 000 Stellen bis 2030. Die verbliebenen Beschäftigten haben nicht mehr bekommen als eine Beschäftigungszusicherung – bis 2030.
■ Nullrunde bis 2027 beim Gehalt. Das einbehaltene Gehaltsplus von rund 2,5 Prozent im Jahr fließt in einen Fonds und nicht auf die Konten der Mitarbeiter.
■ Die Produktion in Dresden wird eingestellt, das Werk Osnabrück wird nach 2027 stillgelegt.
■ Am Elektrostandort Zwickau wird eine Montagelinie geschlossen, auch in Wolfsburg werden zwei von vier Montagelinien geschlossen.
■ Die Beschäftigten verzichten 2026 und 2027 vollständig auf ihre Bonus-Zahlungen im Mai, ab 2028 wird er nur reduziert ausgezahlt.
Für Konzernchef Oliver Blume ist dieser Deal ein Durchbruch und Vorbild im Umgang mit den weltweit mehr als 100 VW-Werken. Durch die Einsparungen soll die VW-Kernmarke mittelfristig auf eine Umsatzrendite von +6,5 Prozent kommen, von aktuell +2,3 Prozent.
Gewerkschaftsbürokratie zwischen den Klassen
Was lernen wir aus dem VW-Konflikt? Die Kampfbereitschaft war hoch. Wenn 100 000 Beschäftigte in einen Vollstreik gegangen wären, hätten sie den alten Vertrag zur Beschäftigungssicherung retten können. Der Kampf hätte Vorbildcharakter gehabt und das Gleichgewicht der Klassenkräfte in ganz Deutschland zugunsten der Lohnabhängigen verschoben.
Doch die Initiative blieb nahezu vollständig bei einer kleinen Gruppe von hauptamtlichen Funktionären. Diese Gewerkschaftsbürokratie kann sehr gut mit den Einschnitten leben, solange die Standorte im Großen und Ganzen bestehen bleiben. Ihre eigene soziale Funktion hängt davon ab, dass sie der Unzufriedenheit der Belegschaft Ausdruck verleiht und sich zugleich als Verhandlungspartner für das Management unentbehrlich macht. Entfesselte Vollstreiks bedrohen diese Funktion als Mittler zwischen den Klassen. Daher ihr Zaudern und Zögern, das in eine Niederlage führte.
Heft des Handelns
Es war die erste große Protestbewegung bei VW seit Jahren. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es der erfahrenen IG Metall-Führung gelang, das Heft des Handels in der Hand zu behalten und jede ernsthafte Eskalation zu einem Vollstreik zu unterbinden. Doch der Konflikt deutet an, dass wir weitere große Kämpfe zu erwarten haben, gerade in der Automobilbranche. Es kommt darauf an, dass sich die kämpferischsten Gewerkschafter innerhalb der IG Metall vernetzen, um die Aktionsfähigkeit unabhängig vom Apparat zu stärken.
Schlagwörter: Gewerkschaftsbürokratie, IG Metall, Streik, VW