Gleichstellung von Mann und Frau – wie kommen wir dahin? Das Problem beginnt bereits mit der Erklärung der Ungleichheit. Vor gut 140 Jahren hat Friedrich Engels mit seiner Schrift ›Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats‹ eine bahnbrechende, marxistische Erklärung geliefert. Sie hat zu Beginn der 1970er Jahre erst eine Renaissance erlebt, ehe sie mit dem Rechtsschwenk der damaligen Frauenbewegung massiver Kritik ausgesetzt war. Chris Harman gleicht Engels’ Thesen mit dem heutigen Forschungsstand ab
Nach Marx’ Tod 1883 verbrachte Friedrich Engels seine Zeit mit leidenschaftlicher Arbeit. Er nahm sich die Schreibhefte vor, die Marx mit ethnographischen Notizen gefüllt hatte, und schrieb auf dieser Grundlage Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, das 1884 zum ersten Mal erschienen ist. Das Buch ist eine der am meisten missbrauchten marxistischen Grundlagentexte. Jeder, der in den vergangenen 60 Jahren Soziologie oder Anthropologie studiert hat, wird sie als ›veralteten Unsinn‹ und ›unseriös‹ vorgestellt bekommen haben.
Das Buch enthält Fehler. Wie Engels selbst schrieb, beruht es auf dem mageren ethnographischen Material, das 1884 zugänglich war; inzwischen sind auf diesem Gebiet viele Studien veröffentlicht worden. Deshalb enthalten Engels’ Schlussfolgerungen zwangsläufig Fehler. Mehr noch, er untersuchte Gesellschaften der frühen Geschichte, über die wenig Wissen vorhanden war, um Rückschlüsse auf Gesellschaften der Vorgeschichte zu ziehen, von denen überhaupt keine Kenntnisse existierten.
Frauenunterdrückung – ein überwindbares Übel
Aber Engels’ wirkliches ›Vergehen‹ besteht darin, dass er drei Thesen von immenser Bedeutung entwickelt hat: a) Frauenunterdrückung ist keine allgemeingültige Erscheinung der menschlichen Natur, sondern hat ihre materiellen Wurzeln in der vorherrschenden Familienform. b) Die Familie selbst ist nicht unveränderlich, und wir können zurückblicken auf Gesellschaften, in denen die Familie, wie wir sie kennen, gar nicht existiert hat, ebenso wenig die Frauenunterdrückung. c) Die Entwicklung zur Familie als Unterdrückungseinheit fiel zusammen mit dem Entstehen der Klassengesellschaft.
Der Inhalt dieser drei Behauptungen ist revolutionär. Aus ihnen folgt, dass Frauenunterdrückung kein Resultat von Biologie oder dem Verhalten einzelner Männer ist, sondern eines der Klassengesellschaft. Die Befreiung der Frau wird so zur erreichbaren Möglichkeit. Sie kann aber nicht durch die Reform des heutigen Systems oder die Isolation der Frauen von den Männern erreicht werden. Dafür ist die Beseitigung der Klassengesellschaft durch eine sozialistische Revolution erforderlich.
Wie stehen diese drei Behauptungen im Licht der heutigen Erkenntnisse da? Wir verfügen über die Archäologie und die Anthropologie. Beide haben nur begrenzten Wert für uns. Archäologische Zeugnisse bestehen aus den materiellen Überbleibseln von Gesellschaften, die vor vielen tausend oder sogar Millionen Jahren existiert haben. Sie können uns über den Körperbau der ersten menschlichen Wesen Auskunft geben und über einen Teil ihrer Nahrung. Aber über bestimmte Schlüsselelemente ihres Lebens geben sie wenig Aufschluss, z. B. über hölzerne oder textile Werkzeuge und handwerklich erzeugte Gegenstände, über pflanzliche Nahrung, über ihre Sprache und Mythologie.
So müssen wir auf der Basis dieser kärglichen Zeugnisse Verallgemeinerungen zum Verhältnis dieser Menschen zur Natur und zueinander treffen. Trotzdem gibt es einige Schlüsse, die wir mit einiger Sicherheit ziehen können. Der wichtigste betrifft die materielle Versorgungsweise dieser Menschen.
Gesellschaften ohne Frauenunterdrückung
Bis vor etwa 10 000 Jahren beruhten alle menschliche Gesellschaften auf dem Sammeln und Jagen. Werkzeuge wurden benutzt, um den täglichen Bedarf an Nahrungsmitteln, Kleidung und Unterkunft zu beschaffen. Die Quellen mussten in der unmittelbaren Umgebung aufgetrieben werden: Nüsse, Wildfrüchte und Wurzeln auf der einen, wildlebende Tiere auf der anderen Seite. Weil die vorhandene Menge pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel an einem Ort begrenzt war, war auch die Anzahl der Menschen begrenzt, die als Gruppe zusammenleben konnten. Und weil die Nahrungsquellen nach einer bestimmten Frist erschöpft waren, mussten die Gruppen in kurzen Abständen von einem Ort zum nächsten ziehen. Unter solchen Bedingungen konnten sie nur kleine Mengen von Werkzeugen oder Vorräten anhäufen.
Das war die Periode der Vorgeschichte, die Engels nach Morgan und anderen Forschern des 19. Jahrhunderts die ›Wildheit‹ nannte. Etwa 90 Prozent der Entwicklungsgeschichte des Menschen müssen zu dieser Periode gerechnet werden (vielleicht sogar mehr als 99,5 Prozent, wenn man diejenigen unserer frühen Vorfahren mit einbezieht, deren Merkmale eher menschlich als affenähnlich waren.
Wenn es eine biologisch bestimmte ›menschliche Natur‹ gibt, muss sie sich in dieser Periode ausgeformt haben (weswegen die Formen des menschlichen Zusammenlebens und die Geschlechterverhältnisse in dieser Periode eine wichtige Grundlage für alle heutigen Diskussionen zum Thema ›Natur und Gesellschaft‹ bilden).
Übergänge
Vor ungefähr 10 000 Jahren entdeckten dannn Völker in einigen Teilen der Erde, dass sich regelmäßige Ernten einfahren lassen, wenn man die wilde Vegetation abbrennt, um dann Samenkörner in den Boden zu stecken, der zuvor entweder mit einer Art Hacke aufgekratzt worden ist oder in den man mit einem Stock Löcher gebohrt hatte. So unvollkommen die ursprünglichen Techniken gewesen sein mögen: Sie führten zu einer gewaltigen Steigerung der Produktivität im jeweiligem Siedlungsgebiet.
Die menschlichen Ansiedlungen mussten jetzt nur noch verlegt werden, wenn die Fruchtbarkeit des Bodens erschöpft war – eher im Abstand von Jahren als dem von Monaten. Jetzt war es sinnvoll, viel Arbeit in die Herstellung von entwickelten Werkzeugen zu stecken, auch wenn sie schwer zu tragen waren, da man sie nicht mehr so häufig transportieren musste. Von nun an steckten die Menschen viel Arbeit in die Herstellung von Tongefäßen. Das wiederum erlaubte ihnen, Nahrungsmittel in einem Ausmaß zu lagern, das vorher unerreichbar war.
Die gesteigerte und zuverlässige Nahrungsmittelversorgung versetzte sie in die Lage, vergleichsweise große Tiere in ihrer Umgebung zu halten und zu zähmen (Schafe, Ziegen, Schweine, Rinder usw.).
Die Anzahl, in der Menschen im Schnitt zusammenlebten, lag nun viel höher: Sie war nicht mehr begrenzt durch die wild wachsenden Nahrungsmittel, die man vorfand – im Gegenteil, eine größere Bevölkerung konnte das Land in gewissen Grenzen intensiver bearbeiten und den Ernteertrag erhöhen.
Die Archäologie liefert Zeugnisse über eine andere wichtige Veränderung, die zum gleichen Zeitpunkt eintritt. Zum ersten Mal gibt es Vorräte an Waffen, die ausdrücklich zum Töten anderer Menschen bestimmt sind. Der Krieg, den eine Gruppe von Menschen gegen eine andere anfängt, verspricht ab jetzt eine lohnende Beute: die Kontrolle über das fruchtbare Land der anderen und ihre Nahrungs- und Werkzeugvorräte.
Diese Gesellschaften (den heutigen Anthropologen als ›Gartenbaugesellschaften‹ bekannt und denen, die sich an den Begrifflichkeiten von Morgan und Engels orientieren, als ›Unterstufe der Barbarei‹) durchliefen ihrerseits an manchen Orten eine weitere Entwicklung. Die Menschen entdeckten, wie sie die Muskelkraft bestimmter domestizierter Tiere mit einem verbesserten hölzernen Werkzeug zur Bodenbearbeitung verbinden konnten, dem Pflug. Das Ergebnis war eine weitere erhebliche Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität. Mit der Bereitstellung ausreichender Nahrungsmittel konnten noch größere menschliche Siedlungen entstehen und noch größere Tierherden unterhalten werden, während viel mehr menschliche Arbeitskraft für die Herstellung von Werkzeugen und handwerklichen Gegenständen frei wurde.
Dieses Stadium der systematischen Landwirtschaft (oder nach Morgan und Engels: der ›Oberstufe der Barbarei‹) bildete die materielle Grundlage für die Herausbildung von Städten, nicht-landwirtschaftlichen Berufen, der ersten Schriftformen, ›hauptberuflichen‹ Soldaten und Priestern – kurz, die Epoche der Zivilisation.
Die Übergänge vom Sammeln und Jagen zum Gartenbau, vom Gartenbau zur eigentlichen Landwirtschaft und von ihr zur Zivilisation ereigneten sich nicht überall. Tatsächlich lebte ein großer Teil der Menschen auf der Erde unter materiellen Bedingungen, die sich kaum von den Vorläufern der Zivilisation unterschieden, bis der Kapitalismus ausgehend von Westeuropa seine Fangarme nach allen bis dahin existierenden Gesellschaften ausstreckte.
Die Ethnologie (die vergleichende Völkerkunde) ist der Versuch, eine Wissenschaftschaft zu entwickeln, die auf der Beobachtung dieser sogenannten ›primitiven‹ Gesellschaften beruht, um aus ihr allgemeine theoretische Schlüsse zu ziehen. Diese Beobachtungen und Schlussfolgerungen wurden genutzt, um Aussagen über den Charakter vorgeschichtlicher Gesellschaften zu treffen.
Der amerikanische Ethnologe Morgan und der von ihm beeinflusste Engels waren zwar die ersten, die diese Herangehensweise nutzten, aber die meisten Leute, die im letzten halben Jahrhundert denselben Weg beschritten, haben behauptet, Engels Auffassungen zu Frauenunterdrückung und Familie seien durch Tatsachen widerlegt.
So vertritt der US-amerikanische Anthropologe Linton die Ansicht, die Familie sei eine unveränderliche Erscheinung aller Gesellschaften, die sogar bei den höher entwickelten Affen vorkomme. Die sehr einflussreichen britischen Anthropologen Bronisław Malinowski und Evans Pritchard versuchen, dasselbe zu belegen. Pritchard besteht darauf, dass »Männer ungeachtet der Formen sozialer Strukturen [Frauen] immer überlegen sind«.
Der französische Anthropologe Levi-Strauss beharrt auf der Allgemeingültigkeit der männlichen Vorherrschaft. Das begründet er mit dem in vielen vorzivilisierten Gesellschaften geltenden Inzesttabu, dessen Regeln er als »Regeln für den Frauentausch durch Männer« versteht.
Einige ›marxistische‹ Anthropologenen haben diese Behauptungen zum Anlass genommen, Engels zu ›widerlegen‹. Maurice Godelier argumentiert so: »Wir können annehmen, dass die Arbeit von Männern in jeder Gesellschaft höher bewertet wird als die von Frauen«, und der Ethnologe Maurice Bloch bestreitet die Existenz von Gesellschaften, in denen »Frauen Männern gleichgestellt oder keine Klassen vorhanden waren«.
Schließlich haben separatistische Radikalfeministinnen wie Firestone, Ortner und Rosaldo dasselbe Grundargument übernommen, nach dem Männer immer die Herrschaft ausgeübt hätten und es immer tun würden, solange sich die Frauen nicht von ihnen trennten.
Aber dieser Umgang mit den Erkenntnissen ist aus zwei Gründen unzulässig. Zunächst können die ›primitiven‹ Gesellschaften, die heute noch bestehen, nicht einfach mit den vor 5000 – 10 000 Jahren existierenden Gesellschaften gleichgesetzt werden. Sie haben sich seitdem immer wieder verändert. Einige der Wildbeutergesellschaften, die es heute noch (etwa im Amazonas-Gebiet) gibt, waren einst Gartenbaugesellschaften, die in ihrer Entwicklung zurückgefallen sind. Einige Völker, die in landwirtschaftlichen Gesellschaften leben, sind die Nachfahren untergegangener Zivilisationen.
Das gleichzeitige Bestehen von Gesellschaften, die auf einer entwickelteren Produktionsweise beruhen, hat zwangsweise alle benachbarten ›primitiven‹ Gesellschaften beeinflusst. Angesichts des Drucks von Gartenbau-, landwirtschaftlichen und ›zivilisierten‹ Gesellschaften haben sich Wildbeutergesellschaften für gewöhnlich nur in extremen Randgebieten (der Arktis, der Kalahari- und der australischen Wüste und den tropischen Regenwäldern) halten können.
Nicht zuletzt sind alle drei Formen der vorzivilisierten Gesellschaften mehr oder weniger in den Weltmarkt integriert worden: Jäger verkaufen Tierfelle an kapitalistische Händler, Gartenbauer produzieren Saatgut oder Fasern für westliche Konzerne, Bauern sind Teil der größten Wirtschaftsbranche auf der Welt.
Mit dem kapitalistischen Markt sind der bürgerliche Staat und die bürgerliche Religion gekommen, die sich nachdrücklich bemüht haben, die vorgefundenen Verhaltensnormen ihren eigenen Moral-vorstellungen anzupassen. Deshalb wäre es kaum verwunderlich, in diesen Gesellschaften heute auf Formen männlicher Vorherrschaft zu treffen, die in der Vergangenheit nicht vorhanden gewesen sein müssen.
Das zweite Problem bildet die Erwartungshaltung der Mehrheit anthropologischer Beobachter, die auf das Vorfinden bestimmter Erscheinungen gebaut haben. Bei all ihrem wissenschaftlichen Anspruch sind auch sie nur Individuen aus entwickelten bürgerlichen Gesellschaften, die ausgezogen sind, um ›primitive‹ Gesellschaften von außen zu beobachten. Oft sprachen sie nicht einmal deren Sprache und brachten alle Vorurteile der bürgerlichen Gesellschaft mit.
Sie waren in der Erwartung aufgebrochen, genau auf die Phänomene zu stoßen, die der Kapitalismus diesen Gesellschaften aufgedrückt hat. Dann benutzten sie ihre Beobachtungen, um den Schluss zu ziehen, diese Erscheinungen hätten seit je her existiert und würden es auch immer tun.
Erst in den jüngsten Jahren wurden die Fehler in diesen Schlussfolgerungen aufgedeckt, als einige vom Marxismus inspirierte Feministinnen diese Arbeiten noch einmal unter die Lupe nahmen. Der Anthropologe Malinowski konnte z. B. behaupten, Frauen käme in der Trobriander-Gesellschaft, die er beobachtet hat, eine geringere wirtschaftliche Bedeutung zu, weil er deren Rolle beim Sammeln von Bananenblättern völlig ignoriert hat – obwohl er selbst vor einem Stoß Bananenblätter fotografiert worden ist.
Andere Anthropologen haben behauptet, Frauen würden in bestimmten Ritualen der australischen Urbevölkerung bedeutungslos sein, weil sie einen wichtigen Moment in der Zeremonie gar nicht beachtet hatten, in dem die Männer sich (vermutlich mitsamt der Anthropologen) abwenden, damit die Frauen wichtige rituelle Gesten vollziehen können.
Benutzen wir also die Beobachtungen von Anthropologen für unser Verständnis der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, sollten wir das vorsichtig und kritisch tun.
Nichtsdestotrotz können wir einige Schlüsse ziehen. Noch existierende Wildbeutergesellschaften leben in Gruppen von 20 bis 30 Menschen zusammen. Formale Autoritätsstrukturen und eine Aufteilung in Klassen sind kaum vorhanden. Die Mitglieder stoßen freiwillig zur Gruppe und wenn es Streit gibt, zieht die eine Partei einfach zu einer anderen Gruppe.
Frauen und Männer leben in Paaren innerhalb dieser Gruppen und es gibt eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Die Frauen sammeln hauptsächlich, die Männer jagen (wobei auch Frauen sich an der Jagd beteiligen). Das ließ viele Autoren zur Ansicht gelangen, die Männer beherrschten die Frauen in einer Art Frühform der patriarchalischen Familie. Aber tatsächlich verhält es sich anders. In den meisten (wenn auch nicht allen) heute noch existierenden Wildbeutergesellschaften sind Frauen und Männer gleichermaßen an Entscheidungen beteiligt und können Beziehungen beenden, wenn sie es wollen.
Die Ansicht, Männer übten eine Art Herrschaft aus, fußt üblicherweise auf dem Mythos vom ›Mann als Jäger‹ – das Sammeln von Knollen, Beeren und Nüssen wurde als unbedeutender betrachtet als die Jagd. Tatsächlich lieferte das Sammeln einen viel größeren Teil der Nahrung als die Jagd. Fleisch machte kaum mehr als 30 Prozent der Nahrung aus und bildete eine viel unzuverlässigere Nahrungsquelle.
Die geschlechtsgebundene Arbeitsteilung in diesen Völkern wurde den Frauen keineswegs von den Männern auferlegt, sondern entspricht den Bedürfnissen der Gruppe. Sie kann nur überleben, wenn eine Mindestzahl von Kindern geboren und großgezogen wird, was das Stillen im Säuglingsalter mit einschließt. Auf der Suche nach Nahrungsquellen ist die Gruppe stets in Bewegung und eine Mutter muss ihr Kind mit sich herumtragen, bis es etwa vier Jahre alt ist. Unter diesen Umständen kann sie nicht öfter gebären als alle vier Jahre; und weil ungefähr die Hälfte aller Kinder im Säuglingsalter stirbt, muss die durchschnittliche Frau entweder schwanger sein oder Kinder großziehen, soll die Gruppe überleben.
Für Kinder tragen Frauen allein die Verantwortung. Ab einem Alter von vier Jahren spielen Männer eine größere Rolle. Aber dieses Verhältnis erschwert den Frauen die Teilnahme an der Jagd: Das Jagen größerer Tiere erfordert schnelle Bewegungen, die sich nicht vollführen lassen, wenn man ein Kind trägt. Mehr noch, es ist eine unsichere und riskante Aktivität. Ein paar Männer zu verlieren kann sich eine Gruppe leisten, aber nicht diejenigen ihrer Mitglieder, die allein Kinder gebären können.
Entscheidend aber ist, dass die Arbeitsteilung (auch wenn sie den biologischen Unterschieden entspringt) nicht automatisch zur Beherrschung des einen Geschlechts durch das andere führt.
Die amerikanische Anthropologin Ernestine Friedl stellt fest, dass Männer ein höheres Ansehen genießen und mehr Macht in Jäger-und-Sammler-Völkern haben, in denen die Jagd größere Bedeutung für die Versorgung hat (wie etwa in der Arktis oder der australischen Wüste). Aber auch sie besteht darauf, dass diese Sachlage nichts mit der systematischen Unterdrückung von Frauen in Klassengesellschaften zu tun hat.
Weiter gehen Eleanor Leacock und Karen Sachs. Sie sagen, in allen Jäger-und-Sammler-Völkern stoße man auf eine annähernde Gleichberechtigung von Männern und Frauen, wenn man die vorhandenen Kenntnisse kritisch würdigt. Jedenfalls sind wir weit entfernt von einer ›generell vorherrschenden Dominanz von Männern‹, die vielfach unterstellt wird. Gibt es eine ›menschliche Natur‹, dann muss sie in der gewaltigen Zeitspanne entstanden sein, in der unsere Vorfahren in den beschriebenen Gesellschaftsformen zusammengelebt haben. Und die haben keine Anhaltspunkte für die Annahme hinterlassen, eine solche Natur beinhalte eine Neigung von Männern, Frauen zu unterdrücken, oder eine von Frauen, diese Unterdrückung zu akzeptieren.
Frauenunterdrückung und der Aufstieg der Klassengesellschaft
Während sich über den jeweiligen Beitrag von Männern und Frauen zum materiellen Unterhalt der Gesellschaft trefflich streiten lässt, lässt die nächste Entwicklungsstufe, die Gartenbaugesellschaft, kaum Raum für Zweifel.
Die Bodenbearbeitung mit Hacke und Grabstock entwickelte sich aus dem Sammeln pflanzlicher Nahrung und ist fast überall eine Arbeit für Frauen (wobei Männer für die Landrodung verantwortlich gewesen sein können). In diesen Gesellschaften sind Frauen in erster Linie Beschafferinnen von Nahrung und Kleidung – und ihr sozialer Rang ist entsprechend hoch.
Die Teilung der Gesellschaft in Klassen wird zwangsläufig begleitet vom Aufstieg des Staats – einer Einheit bewaffneter Männer, die vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten ist. Die neue Ausbeuterklasse braucht diese Einrichtung, um ihre eigene Stellung zu schützen und durch Eroberung und Sklaverei auszubauen.
Die Veränderungen, die mit der Entstehung von Landwirtschaft, Klassengesellschaft und Staat einhergingen, hatten beträchtliche Folgen für die Stellung der Frauen. Der Ackerbau mit dem Pflug und die Haltung von Viehherden erfordern eine Arbeitsweise, die langfristig nicht mit dem Gebären und Stillen von Kindern vereinbar ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Arbeit in der eigentlichen Landwirtschaft von der vorangegangenen im Gartenbau.
In Gartenbaugesellschaft beteiligten Frauen sich an der Ernennung von Kriegshäuptlingen, an Entscheidungen, wer mit wem verheiratet wird, und sie bestimmten über das Foltern von Gefangenen.
In all diesen Gesellschaften bildete die Abstammungslinie das Schlüsselelment der gesellschaftlichen Organisation – in vaterrechtlichen Gesellschaften die Verwandtschaft zum Vater, zu den Geschwistern, Onkeln und Tanten der väterlichen Seite, in mutterechtlichen die zur Mutter, ihren Geschwistern usw.). Geheiratet wird stets außerhalb dieser Linie, aber die Bindungen zur Sippe bleiben für das Individuum entscheidend – sie sind in vielfältiger Hinsicht bedeutsamer als die Bindung zum Ehemann.
Eine Hochzeit stellt nicht nur eine individuelle Verbindung her, sondern ein Verhältnis zwischen den Verwandtschaftslinien, das durch Individuen vermittelt wird. Auch wenn die Frau eine ›Ehefrau‹ ist, ist sie vor allem eine Schwester – und jede Unterdrückung, die sie durch ihren Mann erfahren würde, würde schnell zum Einschreiten ihrer Verwandtschaft führen. Innerhalb der Sippe werden die Entscheidungen keineswegs allein von Männern getroffen, sondern auch von den älteren Frauen (siehe dazu: Karen Sachs, Sisters and Wifes).
Eine dieser Gesellschaften, die der Irokesen im US-amerikanischen Bundesstaat New York, war es, die Morgan untersuchte. Aufgrund seiner Forschungen kam Engels zur Feststellung, in der menschlichen Geschichte habe es eine Etappe des Mutterrechts gegeben. Die Irokesen gehören zu einer Reihe von Gesellschaften, die sich durch die Bezugnahme auf die Mutter auszeichnet. Für die Abstammung ist dort die weibliche Linie entscheidend. Erwachsene Männer ziehen in das Haus ihrer Schwiegermutter. Die Stellung der Frau ist in diesen Gesellschaften besonders hoch: Der Mann ist zunächst ein ›Fremdkörper‹ in dem Haus, in dem er zusammen mit seiner Frau, ihrer Mutter, ihren Schwestern und den Männern, mit denen sie verheiratet sind, lebt.
Aber es wäre falsch, diese Gesellschaften als ›Matriarchat‹ zu bezeichnen. Diese Bezeichnung würde beinhalten, dass Frauen die Männer dort in vergleichbarer Weise beherrscht hätten, wie sie in der Klassengesellschaft beherrscht werden. Aber eine derartige Unterwerfung einer gesellschaftlichen Gruppe durch eine andere konnte erst mit der Klassengesellschaft entstehen.
Darüber hinaus sind die meisten Gartenbaugesellschaften gar nicht mutterechtlich organisiert. Für die Abstammung ist oft die männliche Linie entscheidend und den Wohnsitz bildet für gewöhnlich das Haus des Mannes.
Trotzdem haben wir es hier immer noch mit Gesellschaften zu tun, in denen Frauen eine hohe Stellung einnehmen. Der Grund dafür liegt, wie Engels bemerkt, in der Schlüsselrolle, die sie in der Sippe gespielt haben – von Engels »Gens« oder »Clan« genannt.
Die systematische Ausbeutung eines Bevölkerungsteils durch einen anderen ist in Jäger-und-Sammler- wie in Gartenbaugesellschaften nicht möglich. Die Produktivität der menschlichen Arbeit ist einfach zu gering, um einen Überschuss an Nahrung und Kleidung zu erzeugen, der ausreichen würde, um einer Minderheit die Konzentration auf nicht-produktive Tätigkeiten oder gar den Müßiggang zu ermöglichen. In diesen Gesellschaften existiert kein nennenswertes Mehrprodukt.
Mit dem Pflug kam die Knechtschaft ins Haus
Das wird erst durch den gewaltigen Produktivitätsfortschritt ermöglicht, der aus dem Übergang vom Gartenbau zur Landwirtschaft erwächst. Diese Veränderung wiederum ermöglicht die Entstehung von Keimformen der Klassenteilung,
Eine Schicht von Herrschern, Priestern oder Händlern beginnt sich zu entwickeln, die nicht an die regelmäßige Landarbeit gebunden ist. Der Gemeinschaft insgesamt verschafft das bestimmte Vorteile: Die Angehörigen dieser Schicht können einen Teil ihrer Zeit der Erforschung von Methoden zur weiteren Steigerung der Produktivität widmen, dem Ausbau des Handels mit den Nachbargemeinschaften oder dem Aufbau von Streitkräften zur Verteidigung oder für Überfälle auf die Nachbarn. Die Vorteile jedoch eignete sich die herrschende Klasse an (denn während der durchschnittliche Arbeitstag in den Wildbeutergesellschaften durchschnittlich etwa vier Stunden betrug, war er in den Landwirtschaftsgesellschaften viel länger).
So hat auch Gordon Childe festgestellt:
»Der Pflug verwandelte den Ackerbau von der Bestellung eines kleinen Grundstücks in den landwirtschaftlichen Feldanbau und schuf eine unlösbare Verbindung von Ackerbau und Viehzucht. Er befreite die Frauen von der härtesten Plackerei, aber er entzog ihnen das Monopol über die Getreideernten und den gesellschaftlichen Status, der mit ihm verbunden war. Unter den ›Barbaren‹ sind es die Männer, die die Felder pflügen, obwohl die Frauen noch die Gärten bestellt hatten. Und sogar in den ältesten sumerischen und ägyptischen Quellen sind die Pflüger tatsächlich männlich.« (What Happened in History, S. 72)
Frauen verrichteten weiterhin produktive wie auch reproduktive Aufgaben. Aber die Erzeugung des maßgeblichen Lebensunterhalts – und die Quelle des neuen, wachsenden Überschusses – war in den Händen der Männer.
Zwei weitere Faktoren vergrößerten ebenfalls den Einfluss der Männer auf Kosten der Frauen. Der Handel mit Überschüssen unter verschiedenen Gemeinschaften brachte lange und anstrengende Reisen mit sich, die für Frauen, die mit kleinen Kindern belastet sind, kaum durchführbar waren; dieser Handel wurde meistens (wenn auch nicht ausnahmslos) zur Domäne der Männer. Und das Großziehen der Kinder machte die neuen Berufsarmeen zu männlichen Institutionen (zwar gibt es auch Zeugnisse von einigen Gesellschaften mit weiblichen Soldaten, aber sie kommen äußerst selten vor und liegen weit auseinander). Die Menschen, die die Kontrolle über den neu gewonnenen Überschuss ausübten, waren in der Regel Männer. Für sie war die männliche Vorherrschaft nur ein Aspekt ihrer Herrschaft über den Rest der Gesellschaft. Frauen wurden für sie zu Spielzeug, Zierde oder einem Mittel, sich Verbindungen zu anderen Herrschern zu verschaffen – sie wurden in keinster Weise mehr als Wesen angesehen, die den Männern gleichgestellt wären.
Mehr noch, die Klassenteilung untergrub das Verwandtschaftsgefüge. Als Klasse und Staat an die Stelle von Clan oder Gens traten, verloren die Frauen die letzten Bastionen des Schutzes vor den Männern im Haus.
Dieser Wandel wirkte sich auch auf das Zusammenleben der ausgebeuteten Bauern (und das der wenigen Handwerker) aus wie auf die neue herrschende Klasse. Die ausgebeuteten Klassen lebten nun nicht mehr in verwandtschaftlich strukturierten Gruppen, sondern in Haushalten, in denen ein Mann die Kontrolle über die wichtigsten produktiven Tätigkeiten bekam und die meisten Männer (seine Söhne und Diener oder Sklaven) sowie alle Frauen eine untergeordnete Rolle spielten.
Das Aufkommen der Klassengesellschaft und die Auflösung des alten Verwandtschaftsgefüges brachte die patriarchale Familie und die Frauenunterdrückung hervor.
Die Befreiung der Frau
Diese kurze Darstellung zeigt uns, wie wichtig der zentrale revolutionäre Kern der Argumentationslinie von Engels bleibt. Seine Erklärung ist nicht ohne Fehler. Aber er hat Recht, wenn er die Frauenunterdrückung nicht auf die ›menschliche Natur‹ zurückführt, sondern auf eine bestimmte Familienform, wenn er die Familienform in ihrer Abhängigkeit von der materiellen Produktion der Gesellschaft betrachtet und wenn er die Verbindung der Frauenunterdrückung mit der Entstehung von Klassengesellschaft und Staat unterstreicht.
Diese Schlussfolgerungen sind auch heute noch revolutionär. Während der überwältigend großen Zeitspanne des menschlichen Lebens auf der Erde haben biologische Unterschied zwischen den Geschlechtern die Frauen nicht zu ihrer Unterdrückung verdammt, auch wenn es eine gewisse geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gegeben hat. Erst mit dem jüngsten Abschnitt der menschlichen Geschichte – mit dem Entstehen der Klassengesellschaft – wurden Biologie und Unterdrückung miteinander verbunden.
Schließlich hat die jüngste Epoche der Klassengesellschaft – der Kapitalismus – die Produktionsmittel so weit entwickelt, dass ein materieller Grund für den Ausschluss von Frauen aus den meisten Produktionsprozessen nicht mehr existiert. Ihre heute noch bestehende Unterdrückung ist weder das Resultat der menschlichen Natur noch das der Biologie. Sie ist das Produkt der Klassengesellschaft, die gestürzt werden muss, wenn die Menschheit nicht eine noch schlimmere Alternative als die Rückkehr zur Barbarei erfahren will.