Interview mit einem Genossen der Revolutionären Linken, der nach seiner Teilnahme an Protesten gegen einen Neonazi-Aufmarsch staatlichen Repressionen ausgesetzt ist
Die Querdenker und Neonazis marschierten am 24. Mai erneut durch Berlin – begleitet und geschützt von ihrem Freund und Helfer, der Polizei. Der als ›Friedensmarsch‹ deklarierte Aufzug unter dem Motto ›Frieden, Freiheit, Volksabstimmung‹ wurde vom Netzwerk ›Deutschland steht auf‹ organisiert, das aus dem Querdenker-Milieu hervorgegangen ist.
Unterstützung erhielt der Aufmarsch unter anderem vom AfD-Großspender und Unternehmer Winfried Stöcker, der öffentlich zur Teilnahme aufrief. Auch AfD-Politiker warben aktiv für die Veranstaltung: So drehte der brandenburgische Landtagsabgeordnete Lars Hünich ein Propagandavideo im Hof des Landtagsgebäudes, während die Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß und Martin Sichert ebenfalls Mobilisierungsaufrufe verbreiteten.
Die Kundgebung hat gezeigt, wie stark sich AfD, Querdenker und Verschwörungsideologen inzwischen vernetzt haben. Doch sie blieb nicht unwidersprochen: Es gab Gegenproteste, die zwar kurzfristig organisiert waren, aber rund 250 Menschen mobilisieren konnten. Ein Großteil von ihnen beteiligte sich am Versuch, den Naziaufmarsch aufzuhalten. Die Antwort des Staates? Brutale Polizeigewalt. Nun ermittelt die Polizei gegen 186 Personen wegen angeblichen ›Landfriedensbruchs‹ – der Vorwurf: das Umlaufen dreier Polizisten, das nun als ›Durchbrechen einer Polizeikette‹ verfolgt werden soll.
Wir sprechen mit unserem 16jährigen Genossen, der an den Protesten teilgenommen hat und nun Repressionen erlebt. Im Interview berichtet er über Polizeischikane und die Kriminalisierung linker Politik.
Wie kam es zu den Gegenprotesten gegen die Neonazi-Demonstration?
Als ich von dem angemeldeten ›Großaufmarsch‹ von Nazis und rechten Verschwörungsideologen mit bis zu 15 000 angekündigten Teilnehmerinnen und Teilnehmern erfahren habe, bin ich mit Freundinnen und Freunden zur Gegendemonstration gegangen. Doch die Neonazis hatten sich überschätzt – sie waren höchstens 1000 Leute. Als wir vor dem Reichstag demonstrierten, erreichte uns die Info, dass eine Sitzblockade geplant ist, die den Naziaufmarsch aufhalten sollte. Wir entschieden uns kollektiv, die Hauptdemo zu verlassen, weil wir nicht tatenlos zusehen wollten, wie Nazis ungestört durch die Stadt marschieren, während wir nur Reden halten. Am Aktionsort blockierten wir die Straße. Die Polizei griff uns gewaltsam an, aber wir hielten stand. Die Nazis mussten fast zwei Stunden warten, bis die Polizei ihre Route änderte – ein Erfolg für uns.
Wie genau sah die Blockade aus, und wie ging die Polizei danach vor?
Nachdem wir trotz Polizeigewalt den Aktionsort erreicht hatten, bildeten wir eine geschlossene Kette mit Transparenten. Die Polizei schaffte es nicht, uns aufzulösen und kesselte uns stattdessen ein – von 16 bis 22:30 Uhr. In dieser Zeit durften wir nicht essen, trinken oder auf Toilette gehen. Sie richteten eine ganze Erfassungsstation ein, um unsere Personalien aufzunehmen. Obwohl ich minderjährig bin, ließen sie mich nicht früher gehen und schikanierten uns sprachlich. Währenddessen beschützten sie die Nazis.
Die Polizei beschützt die Rechten, während sie Linke angreift – wie bewertest du ihr Verhalten?
Massenhafte Anzeigen gegen linke Demonstrantinnen und Demonstranten sind eine bekannte Strategie, um politischen Widerstand einzuschüchtern. Die Vorwürfe der Polizei sind absurd. Sie behaupten, wir hätten ›Landfriedensbruch‹ begangen, weil wir an drei Polizisten vorbeigelaufen sind. Die Anzeige wegen Landfriedensbruch [§ 125 StGB] wird oft gegen Blockaden eingesetzt, obwohl nicht einmal das Durchbrechen einer Polizeikette allein ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen.) Das war für die Polizei der Vorwand, uns einzukesseln und Gewalt anzuwenden. Dass sie Faschisten schützt, ist nichts Neues – das zeigt die Geschichte und meine eigene kurze Aktivistenzeit. Aber es selbst zu erleben, ist nochmal etwas anderes. Dieser Tag hat mir erneut gezeigt: Der Staat ist kein Verbündeter im Kampf gegen Rechts; er schützt die Nazis. Die Polizei ist Teil des Problems, wie man auch bei ihren Übergriffen gegen Palästina-Solidaritätsproteste sieht.
Wie läuft das Verfahren gegen die 186 Beschuldigten ab?
Die Polizei zog uns einzeln heraus, nahm unsere Personalien auf und machte Fotos. Sie informierte uns nicht konkret über die Vorwürfe. Bei mir wurden sogar meine Eltern benachrichtigt. Jetzt warte ich auf den offiziellen Bescheid. Ich solidarisiere mich mit allen Genossinnen und Genossen, die an diesem Tag dabei waren.
AfD, Querdenker und Neonazis marschieren gemeinsam – wie schätzt du die gesellschaftliche Entwicklung ein?
Ihr neues Selbstbewusstsein durch die AfD-Wahlerfolge ist gefährlich. Da laufen Konservative, Querdenker und offene Nazis Seite an Seite – und werden von der Polizei beschützt. Der Rechtsruck ist überall spürbar: in der Normalisierung solcher Aufmärsche, in der Medienberichterstattung, die Faschisten als ›friedlich‹ darstellt, während Linke als ›extrem‹ diffamiert werden. Dagegen brauchen wir eine starke, solidarische Linke, die sich nicht einschüchtern lässt.
Du bist minderjährig und von Repression betroffen – wie gehst du damit um?
Die Ereignisse haben mich bestätigt: Unser Widerstand ist notwendig, und wir müssen noch mehr werden. Der Kessel war beängstigend, aber ich wusste, dass ich das Richtige tue. Mein Umfeld steht größtenteils hinter mir – klar, man muss aufpassen, aber wir dürfen nicht aufhören zu kämpfen. Mein Rat an andere junge Leute: Habt keine Angst. Man muss nicht eingekesselt werden, um aktiv zu sein – aber wir müssen etwas tun. Allein ist es schwer, doch in einer Organisation wie der Revolutionären Linken ist man nicht allein. Kommt zu den nächsten Protesten gegen Rechts, organisiert euch. Nur gemeinsam können wir echte Veränderung erkämpfen.
Solidarität ist unsere Waffe – Keine Akzeptanz für Polizeigewalt und Naziaufmärsche!