Seit fünf Tagen greift Israel den Iran mit Flugzeugen und Raketen an. Das erklärte Ziel ist nicht nur die Zerschlagung des iranischen Atomprogramms, sondern die unmittelbare Schwächung der Macht und des Einflusses des Iran in dieser Region. Selbst ein Eingreifen der USA und ein so genannter ›Regimewechsel‹ werden nicht mehr ausgeschlossen.
Der Iran schlägt seinerseits mit Raketen zurück und die Gefahr einer Großeskalation wächst in der Region mit jedem Tag. In einer Erklärung der G7, der größten westlichen Industriemächte, wird aber der Iran einseitig als »Hauptquelle« für den Konflikt verantwortlich gemacht und sie betont, eine atomare Aufrüstung des Iran müsse unter allen Umständen verhindert werden.
Die Bundesregierung stellt sich ebenso unverblümt hinter Israel und erklärt, der zionistische Staat habe das Recht, sich gegen den Iran – also das angegriffene Land – zu verteidigen. Diese Auffassung unterstreicht Bundeskanzler Merz, als er behauptet, »Israel erledigt die Drecksarbeit« für den Westen.
Warum hat Israel den Iran angegriffen?
Israel behauptet, sich mit der Zerstörung des iranischen Atomprogramms »selbst zu verteidigen«. Tatsächlich ist Netanyahus Politik zum einen das Resultat einer innenpolitischen Dynamik und im weiteren Sinn der imperialistischen Entwicklung.
Seitdem Israel seine Angriffe auf Gaza begann, war es Netanjahus Strategie, den Krieg an mehren Fronten in der Region auszuweiten. Das schließt die Invasion und den Krieg gegen die Hisbollah im Libanon ein wie die Luftangriffe gegen den Iran und die Besetzung von Land in Syrien nach dem Fall des Assad-Regimes im Dezember letzten Jahres. Alle diese Angriffe – vor allem die auf die Hisbollah im Libanon – haben letztlich die Macht des Iran in der Region geschwächt. Israel hat den Krieg auch zur Absicherung seiner Pläne in Gaza geführt. Zwar fürchten Teile der herrschenden Klasse in den USA, dass die israelische Brutalität den Widerstand in den arabischen Staaten provozieren könnte, doch an der US-amerikanischen Unterstützung für den Genozid in Gaza bestehen keine Zweifel.
Netanjahus beabsichtigt die Rückendeckung für einen ›absoluten Sieg‹ über den palästinensischen Widerstand und einen Blankoscheck für einen permanenten Krieg. Dafür setzt er auf die Ausweitung des Krieges, um sich die Unterstützung der USA zu sichern, denn er weiß, wenn es hart auf hart kommt, werden die USA Israel immer zur Seite springen.
Zum anderen treibt die innenpolitische Krise in Israel Netanjahus Politik an. Seine Koalition ist abhängig von seinen rechtsextremen Partnern, wie dem Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und dem Finanzminister Bezalel Smotrich, ohne die seine Regierung zusammenbrechen würde. Sie bringt eine Auseinandersetzung innerhalb des zionistischen Projekts über die Lösung der palästinensischen Frage zum Ausdruck. ›Liberale‹ Zionisten befürworten die Apartheid, die extremen Rechten wollen einen Genozid. Wichtige Teile des israelischen Establishments fürchten jedoch, eine permanente Besetzung Gazas könne zu dauerhaftem Widerstand führen, wodurch Israel seine Legitimität als ›einzige Demokratie im Nahen Osten‹ verlöre.
Mit dem Ziel einer ethnischen Säuberung Gazas geht die extreme Rechte nun in Israel in die Offensive. Smotrich sagte kürzlich, das iranische Atomprogramm, das die Sicherheit Israels und des Westens gefährde, müsse beendet werden. Um sich die Unterstützung der Rechten zu sichern fantasiert die Regierung Netanjahu von einer Vertreibung der Palästinenser und der eigenen absoluten Vorherrschaft im Nahen Osten.
Was treibt die Rivalität zwischen dem Iran und Israel an?
Israel und der Iran stehen in einem Wettbewerb um Macht und Einfluss in der Region. Dabei wird der israelische Terrorstaat erheblich durch den Westen gestützt – und die militärische Hilfe des Westens hat den Genozid in Gaza erst ermöglicht.
Allerdings ist Israel nicht mehr so stark von wirtschaftlicher Hilfe abhängig wie es das einst war. Denn die ursprünglichen Unterstützungsprogramme haben das Land wirtschaftlich eigenständiger gemacht, insbesondere durch Invstitionen in den Technologie- und Militärbereich. Obwohl Israel weiterhin der Wachhund des westlichen Imperialismus im Nahen Osten bleibt, konnte es also eine gewisse Unabhängigkeit erreichen.
Allerdings vollzieht sich Israels Aufstieg zu einer Regionalmacht vor dem Hintergrund der Krise des US-Imperialismus. Nach den gescheiterten Angriffen der USA auf Afghanistan 2001 und den Irak 2003 scheint die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in dieser Region zu schwinden. Dieser Umstand öffnete den Raum für Regionalmächte wie Israel und den Iran, ihre Machtpositionen auszubauen. Vor allem der Iran wird von Russland und China unterstützt, wenn auch nicht in dem selben Maß wie Israel durch die USA. Russland ist damit der größte Waffenlieferant für den Iran und China nimmt 90 Prozent der iranischen Öllieferungen ab. Das federte zwar die Auswirkungen der westlichen Sanktionen ab, dennoch führten die Sanktionen zu einem Rückgang der iranischen Ölexporte von 119 Mrd. Dollar in den Jahren 2009/2010 auf nur noch 8,9 Mrd. Dollar 2019/2020. Der Iran versuchte darüber hinaus, seinen Einfluss durch die Unterstützung der Hisbollah im Libanon oder den Huthis im Jemen auszuweiten.
Weder Israel noch der Iran sind globale Mächte. Doch ihre Konkurrenz im Nahen Osten basiert letztlich auf der Dynamik des Imperialismus, einem weltweiten System der Konkurrenz zwischen kapitalistischen Staaten.
Welche Rolle spielt Trump?
Es ist bezeichnend, dass die israelischen Angriffe auf Natanz vor den Atomverhandlungen zwischen den USA und dem Iran begannen. Die USA und der Iran hatten bereits 2015 ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet, welches die Offenlegung des iranischen Atomprogramms und im Gegenzug den Abschluss eines Handelsabkommen mit den USA vorsah. Unter dem Druck Netanjahus hatte Trump die Übereinkunft jedoch einseitig gekündigt. Trumps Absicht der Neuverhandlung war es, vor allem den Einfluss seines wichtigsten Konkurrenten China in dieser Region zurückzudrängen. Dass es China 2023 gelungen war, einen Friedensvertrag zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu vermitteln, wurde als Zeichen der Schwäche des US-Imperialismus gewertet.
Ein Besuch Trumps in den Golfstaaten und Syrien diente vor allem der Verbesserung der Beziehungen zu diesen Ländern. Da Trump auf dieser Reise Israel jedoch nicht besuchte, ließ Netanyahu befürchten, er habe als strategischer Partner nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher. Vor allem aber wollte er vermeiden, dass die Rivalen Israels in dieser Region gestärkt werden.
Die Angriffe Israels führten zum gänzlichen Rückzug Irans von den Verhandlungen, denn eine Fortsetzung der Verhandlungen sei, wie der iranische Außenminister es formulierte, angesichts der »Barbarei« durch nichts »zu rechtfertigen«. Trump hatte zuvor die Idee geäußert, sich Israel bei einem Angriff auf den Iran anzuschließen. Aber nun nutzt er die Kriegsdrohung als Druckmittel, um den Iran zu Zugeständnissen zu zwingen.
Die Unentschlossenheit Trumps resultiert aus dem Versuch, Auswege aus der Krise des schwächelnden US-Imperialismus zu finden. China zeigt sich zunehmend als erstarkender Rivale, denn es konnte seine Beziehungen zu den arabischen Staaten verbessern. Außerdem entwickelte sich China zu einem Hauptimporteur von Öl aus der Golfregion und konnte seine strategische Partnerschaft mit verschiedenen Regimen in dieser Region festigen, einschließlich dem des Iran. Dabei wurde es im Rahmen seiner Initiative der ›Neuen Seidenstraße‹ schnell zu einem der wichtigsten Investoren in der Region. Trump versucht verzweifelt, den Einfluss der USA zu stärken, um mit China konkurrieren zu können.
Was sind die weiteren Folgen für die Region?
Die USA stecken in einem Dilemma. Einerseits wollen sie ihren Wachhund Israel um jeden Preis unterstützen, andererseits aber auch einen regionalen Krieg vermeiden. Der US-Imperialismus ist bereits durch mehrere Fronten im Nahen Osten, der Ukraine und Asien arg strapaziert. Die Logik der imperialistischen Konkurrenz aber birgt einen möglichen Krieg mit weitreichenden Konsequenzen.
Zum ersten würde ein Krieg zu mehr Tod und Zerstörung im Nahen Osten und besonders unter den Palästinensern führen. Zum zweiten würde eine solche Entwicklung auch gravierenden Folgen für die Weltwirtschaft haben. Der Ölpreis ist schon dramatisch angestiegen und schraubte sich um weitere 13 Prozent hoch. Die israelische Bombardierung von iranischen Ölfeldern wird diese Entwicklung letztlich nur verschlimmern.
Den USA geht es darum, die Kontrolle über die dortigen Energieressourcen zu erlangen, da gerade China von der Ölzufuhr aus den Golfstaaten extrem abhängig ist. Allerdings zeigen Trumps Zollkriege bereits, dass wirtschaftliche Schocks für eine im Niedergang begriffene imperialistische Macht nicht von Vorteil sind. Während also Israel iranische Ölfelder attackiert, um den Iran und China entscheidend zu treffen, schaden diese Angriffe aufgrund der Auswirkungen auf die weltweite wirtschaftliche Entwicklung den eigenen Interessen. Und letztlich profitiert vor allem Russland von einem Anstieg des Ölpreises und stärkt damit seine Verhandlungsposition im Krieg mit der Ukraine.
Was bedeutete diese Entwicklung für die Palästinenser?
Für viele Palästinenser ist der Iran Teil einer ›Achse des Widerstands‹ gegen den westlichen Imperialismus. Doch die Geschichte des palästinensischen Widerstands zeigt, dass die regionalen Mächte im Befreiungskampf keine verlässlichen Bündnispartner darstellen. Das Regime im Iran kam 1979 nach einer Revolution gegen den vom Westen unterstützen Schah an die Macht. Der Iran blieb dabei ein kapitalistischer Staat mit einer herrschenden Klasse, die von einem konservativen Klerus beherrscht wird, der den schiitischen Islam vertritt. Das Land ist zwar eine imperialistische Juniormacht, strebt aber danach, die größte Macht in der Region zu werden.
Gleichzeitig sah sich das iranische Regime mit Wellen der Volksrevolte konfrontiert, insbesondere mit der Bewegung ›Frauen, Leben, Freiheit‹ im Jahr 2022. Doch das Regime schlug die Bewegung nieder – und verfügt über eine lange Geschichte im Kampf gegen soziale Bewegungen und Arbeiterorganisationen.
Sich selbst stellt es als Macht dar, die Palästina unterstützt, aber das tut es nur, solange es seinen eigenen Einfluss ausbauen kann. Dieser Umstand zeigte sich bereits am Beispiel Syrien, wo der Iran das Assad-Regime dabei unterstützt hat, die Revolution im Arabischen Frühling von 2011 niederzuschlagen und auch nicht zögerte, dafür die libanesische Hisbollah einzusetzen. Der Sturz des Assad-Regimes und die Invasion Israels in den Libanon hat die Position des Iran jetzt entscheidend geschwächt.
Aber der Grund, warum man sich bei der Befreiung Palästinas nicht auf den Iran verlassen kann, ist ein anderer. Da der Iran selbst eine regionale Vormachtstellung anstrebt, besteht die Gefahr, dass er auf Widerstand stößt, wenn er auf der Seite der Palästinenser eingreift, und so seine eigene Position schwächt.
Der Iran hat jedes Recht, sich gegen die israelischen Angriffe zu verteidigen und wir müssen uns gegen die brutalen Angriffe auf die iranische Zivilbevölkerung aussprechen. Um aber tatsächlich die Freiheit für die Palästinenser zu erreichen, müssen wir es mit dem Imperialismus aufnehmen. Dafür braucht es eine Massenbewegung im ganzen Nahen Osten nicht nur im Kampf gegen Israel, sondern auch gegen die herrschenden Klassen in den arabischen Staaten. Das zeigt der Iran, der selbst gegenüber den USA, dem größten Unterstützer des israelischen Terrors, zu Zugeständnissen bereit ist, wenn es seinen Interessen dient.
Die arabische Revolution 2011 hingegen hat die Macht des Widerstands im Kampf gegen die eigenen korrupten Herrscher offenbart, wie auch gegen den Imperialismus und damit gegen Israel.
Unsere Aufgabe ist es, die Waffenlieferungen an Israel zu verhindern.
Dieser Artikel ist die Übersetzung eines FAQ unserer britischen Genossinnen und Genossen der Socialist Workers Party. Den Originalartikel findest du hier.