Warum antiimperialistische Linke die Partei DIE LINKE verlassen sollten
Am 12. Oktober stimmte die Fraktion DIE LINKE im Bundestag einem Antrag zu, den Bundesregierung und CDU/CSU gemeinsam eingebracht haben. Darin wird dem Staat Israel ein Blankoscheck für das militärische Vorgehen gegen den Gazastreifen ausgestellt. Karl Naujoks erklärt, warum wir DIE LINKE verlassen und eine neue, revolutionäre Linke aufbauen müssen
Der 12. Oktober markiert einen Bruchpunkt für die Linke in Deutschland. Die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE stimmte an diesem Tag einem Entschließungsantrag zu, den die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP zusammen mit der CDU/CSU anlässlich der Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz eingebracht haben.
In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, angesichts des eskalierenden Krieges um Gaza »Israel die volle Solidarität und jedwede Unterstützung zu gewähren«. Desweiteren „darauf hinzuwirken, dass die Sachverhalte, die sich am Abend des 7. Oktober 2023 auf den Straßen von Neukölln in Berlin und andernorts zugetragen haben, aufgeklärt und strafrechtlich geahndet werden. Dabei müssen alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft werden, dazu können auch aufenthaltsrechtliche Maßnahmen gehören“.
Kurzum: Es werden sowohl der absehbaren Dauerbombardierung und Bodenoffensive der israelischen Armee gegen Gaza, als auch der polizeistaatlich anmutenden Repression von propalästinensischen Demonstrationen und Veranstaltungen in Deutschland ein politischer Blankoscheck ausgestellt. Es geht soweit, dass sogar das Mittel der Abschiebung von Migranten und Migrantinnen ohne deutschen Pass angedroht wird, wenn sie kritisch und öffentlich gegen die israelische Kriegsführung Stellung beziehen.
Dietmar Bartsch hielt in der Plenarsitzung die Rede für die Linksfraktion unter der Überschrift »Entschlossen gegen Terror und die Feinde Israels«. Er begrüßte ausdrücklich die Regierungserklärung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Scholz. Bartsch verurteilte in seiner Rede pauschal Solidaritätsbekundungen mit Palästina. Er sprach wörtlich von »Jubelfeiern auf der Sonnenallee« in Berlin-Neukölln, die den »Hamasterror gutheißen« würden, und bezeichnete dies als »furchtbare Beispiele dieses Judenhasses«.
Bartsch verlor kein Wort darüber, dass die Bevölkerung von Gaza seit Jahrzehnten im größten Freiluftgefängnis der Welt eingesperrt wird und jeder Protest, auch gewaltloser wie jener am Zaum im Jahr 2018, auf tödliche Gewalt durch den israelischen Staat trifft. Damals erschoss die israelische Armee laut UNO über 180 Menschen und und verletzte 6100 weitere mit scharfer Munition, die hinter dem Zaun von Gaza ihre Wut zum Ausdruck brachten.
DIE LINKE hat sich mit der Zustimmung zur Israelpolitik der Bundesregierung am 12. Oktober in die Front derjenigen eingereiht, die dem palästinensischen Volk das Recht auf Protest und Widerstand gegen die koloniale Unterdrückung absprechen. Sie ist zu einem Anhängsel des deutschen Imperialismus geworden, der seit vielen Jahren mit Israel engste militärische Beziehungen unterhält und zahlreiche, millionenschwere Rüstungsgeschäfte betreibt.
Die Bilanz nach 30 Tagen Krieg
Vier Wochen nach dem Bundestagsbeschluss wird klar, womit sich DIE LINKE solidarisiert hat. In den ersten dreißig Tagen des Krieges hat die israelische Armee über Gaza 18.000 Tonnen Sprengstoff abgeworfen. Angeblich seien damit „über 14.000 terroristische Ziele“ angegriffen worden, so die israelische Armee. Tatsächlich sind laut palästinensischem Gesundheitsministerium mit Stand vom 6. November 9730 Menschen im Gazastreifen unter den Bomben umgekommen und 26.000 Menschen verletzt worden. Seitdem geht das Morden weiter. Zwei Drittel der Opfer sind Kinder, Frauen oder Senioren. Der Gazastreifen wurde von Wasser-, Nahrungsmittel – und Stromversorgung abgeschnitten. Im Westjordanland haben israelische Armee und radikale Siedler im Schatten der internationalen Aufmerksamkeit in den ersten vier Wochen des Krieges gegen Gaza vier palästinensische Dörfer »ethnisch gesäubert« und rund 140 Menschen erschossen.
Derweil rühmt sich Innenministerin Faeser, dass jede vierte angemeldete propalästinensische Demonstration in Deutschland verboten worden sei. Vereine und Veranstaltungen gegen den israelischen Bombenterror werden untersagt, ganz gleich, ob sie von palästinensischen Bündnissen, linken Gruppen oder der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden organisiert werden.
Seit der Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung und CDU/CSU, der oberdrein auch noch die Zustimmung der faschistischen AfD erhalten hat, glänzte die Bundestagsfraktion DIE LINKE durch Untätigkeit. Kein Antrag, keine Stellungnahme, die das Schweigekartell der imperialistischen Parteien durchbrochen hätte. Während auf den Straßen vieler Städte der Welt eine Welle der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und dem Westjordanland aufbrandete, gab es keinen Aufruf vom Pateivorstand oder aus der Bundestagsfraktion, sich daran zu beteiligen.
Ganz im Gegenteil: Am 9. November, nach vier Wochen Dauerbombardement auf Gaza, zog die es die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung vor, den britischen ehemaligen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn von einer Veranstaltung in Berlin auszuladen, da seine propalästinensische Haltung angesichts des innenpolitischen Drucks als offenbar nicht opportun erschien.
Ein neuer 4. August
Vor fünfzehn Jahren wurde die DIE LINKE gegründet. Sie zog damals Hoffnungen von Millionen auf soziale Veränderungen auf sich und stand für eine pazifistische Außenpolitik, gegen alle Bundeswehreinsätze und Waffenexporte. Doch ihr Reformismus und Opportunismus gegenüber der herrschenden Klasse, gepaart mit dem Ziel Regierungsverantwortung zu übernehmen, hat sie zu einer Partei des politischen Mainstreams gemacht. Sie stellt keine Basis mehr dar, von der man für eine konsistente, antiimperialistische Politik arbeiten kann.
Natürlich gibt es auch heute noch Parteimitglieder, die in der LINKEN für eine andere, eine antikoloniale Politik in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung argumentieren. Doch ihre Position ist unhaltbar geworden, seit Sahra Wagenknecht ihren bevorstehenden Austritt aus der Partei angekündigt hat. Dies wird das Gewicht derjenigen, die am offensten den proisraelischen Kriegskurs der Bundesregierung unterstützen, wie Dietmar Bartsch, Klaus Lederer oder Bodo Ramelow, weiter stärken. Wer in dieser Situation sich mit der Partei DIE LINKE identifiziert, schneidet sich von der propalästinensischen Solidaritätsbewegung ab, trägt zur Verwischung der Fronten bei und droht seine Kräfte in fruchtlosen innerparteilichen Grabenkämpfen zu verbrauchen. Im besten Fall kommen auf Parteitagen leere Formelkompromisse heraus, die den Verrat der Bundestagsfraktion DIE LINKE kaschieren.
Wir dürfen uns keine Illusionen über den Charakter der LINKEN machen. Die Zustimmung der Linksfraktion zur Israelpolitik der Bundesregierung am 12. Oktober 2023 signalisiert das offene Übergehen in das Lager des deutschen Imperialismus. Wir haben nicht weniger als einen neuen 4. August erlebt. Am 4. August 1914 stimmte die damalige Reichstagsfraktion der SPD für die Bewilligung der Kriegskredite, die Voraussetzung für den Eintritt des Deutschen Reichs in den 1. Weltkrieg war. Diese Kapitulation vor dem deutschen Imperialismus der vormals marxistischen SPD wurde als Akt der Selbstverteidigung gegen den russischen Despotismus und dem Terror serbischer Nationalisten gerechtfertigt. „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich“, begründete der Fraktionsvorsitzende Hugo Haase die Entscheidung der Sozialdemokraten. »Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen.«
Das Ergebnis dieser Entscheidung ist bekannt. Die SPD hat vier Jahre lang das Blutbad des Ersten Weltkriegs gerechtfertigt an der Seite des deutschen Kaisers. Ein wichtiges Ergebnis dieses Verrats war der Bruch der Internationalisten um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit der SPD. Luxemburg nannte die SPD einen »stinkenden Leichnam« und befürwortete schließlich die Gründung einer eigenständigen revolutionären Partei, der KPD.
Hundert Jahre später wiederholt sich in einem anderen historischen Kontext derselbe Mechanismus. Die Entsolidarisierung mit dem Widerstand der Palästinenser, die Unterstützung der Bundesregierung und der rechten israelischen Regierung, sowie die Rechtfertigung dieses Verrats mit dem Verweis auf die historische Verpflichtung nach dem Völkermord der Nazis an den europäischen Juden, all das ist ein einziger Schlag gegen jeden aktiven Antiimperialisten und Antifaschisten, gegen jeden Internationalisten in Deutschland.
DIE LINKE ist ein Hindernis im Kampf gegen die herrschende Klasse und Krieg geworden. Es kommt darauf an, die Konsequenzen zu ziehen und eine neue, revolutionäre Linke aufzubauen.