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Arbeitskampf bei der Bahn

Arbeitskämpfe & Gewerkschaft / 4. Februar 2024

»Wir sollten eine gemeinsame Gewerkschaft haben, die so kämpferisch wie die GdL ist«

Die Gewerkschaft deutscher Lokführer (GdL) hat mit einem dreitägigen Streik im Dezember und einem fünftägigen Streik im Januar ihre Kampfstärke gezeigt. Sie zwang die Bahn AG, ein Verhandlungsangebot zur Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter vorzulegen. Bei Redaktionsschluss ist noch nicht klar, wie dieser Konflikt ausgeht. Wir haben im Interview einen jungen Bahnarbeiter aus Berlin nach seiner Meinung gefragt. Und danach, wie er die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung bei der Bahn in GdL und EVG beurteilt.

 

RevoLinks: Arthur, Du hast im letzten Jahr als Industriemechaniker bei der Bahn ausgelernt und bist mit anderen Kolleginnen und Kollegen in den Streik getreten. Was sind die Kernforderungen?

Arthur: Kernstreitpunkt ist die Forderung der GdL nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für Schichtarbeiter. Die Aussicht darauf ist für die Betroffenen sehr attraktiv. Wir haben Schichten von bis zu 12 Stunden am Stück, und das auch an Wochenenden und Feiertagen. Dazu kommt, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen im Werk natürlich mit ihren Bekannten außerhalb der Bahn vergleicht. Dort verdienen die Leute zum Teil mehr, wie Führungskräfte bei der letzten Betriebsversammlung kleinlaut zugeben mussten.

Würde eine Arbeitszeitverkürzung den Personalmangel nicht noch verschlimmern?

Der Personalmangel bei der Bahn findet seine Ursachen unter anderem in den unattraktiven Bedingungen bei der Bahn zu tun. Ich bekomme mit, dass sich Mechaniker, Elektriker, Mechatroniker, Logistiker und andere meiner Kollegen häufig nach Jobs in anderen Firmen umsehen. Kein Wunder: denn dort wird häufig nicht nur mehr gezahlt, sondern auch es gibt auch bessere Schichtzeiten. Deshalb ist es so bescheuert, wenn Streikgegner auf den bereits bestehenden Personalmangel verweisen. Nur bessere Löhne, bessere Arbeitszeiten und bessere Unterstützung können die Bahn interessanter für Fachkräfte machen. Aber auch das ist nicht genug: Grundsätzlich muss mit dem gesamten halb-privatisierten Frankenstein namens DB AG Schluss gemacht. Die Bahn sollte wieder ein vollständiges Staatsunternehmen werden, das vernünftig mit Mitteln ausgestattet wird. Öffentlicher Personenverkehr sollte keine Ware mehr sein.

Hat die GdL Unterstützung in der Belegschaft mit ihren Forderungen?

Bei mir im Betrieb sind ungefähr 50 Prozent in der Gewerkschaft EVG und 50 Prozent bei der Gewerkschaft GdL. Unter den GdLern gibt eine generell hoffnungsvolle Stimmung, was den Arbeitskampf und seine Forderungen angeht. Ich merke aber auch, dass viele, vor allem die gewerkschaftlich Unorganisierten und die EVG-Kollegen, nicht an die praktische Umsetzungsmöglichkeit der 35-Stundenwoche für Schichtarbeitende glauben. Manche überlegen laut, wie die Bahn nach einem entsprechenden Tarifabschluss versuchen könnte, die 35-Stunden-Woche zu umgehen. Es könnten zum Beispiel Dauerfrühschichten als Standardarbeitszeiten in bestimmten Werken eingerichtet werden. Aber auch das wäre ja ein Erfolg.

Haben die EVGler eigentlich mitgestreikt?

Sie haben das Recht dazu, ebenso wie die Unorganisierten. Ich habe vor meinem Eintritt in die GdL schon mitgestreikt. Leider tun sie es in aller Regel nicht. In Werkstätten und anderen Arbeitsplätzen, wo die EVG eine Mehrheit oder auch nur eine größere Minderheit hat, ist ein effektive Aufstellung von Streikposten und Durchsetzung des Streiks unmöglich. Fakt ist, dass das Hauptkontingent der Streikenden die Lokführer sind. In meinem Werk wird wahrscheinlich mehr wirtschaftlicher Schaden durch die Lokführer als durch Werksarbeiter wie ich erzeugt. Die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung bei der Bahn erzeugt massenweise Streikbruch und spaltet so die Belegschaft.

Wie erklärt sich die Existenz zweier konkurrierender Gewerkschaften bei der Bahn?

Die GdL ist die Gewerkschaft deutscher Lokführer. Sie ist im Gegensatz zu Gewerkschaften wie die IG Metall oder Ver.di nicht im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), sondern Teil des Deutschen Beamtenbundes (DBB). Hintergrund ist, dass Lokführer bis zur De-Facto-Privatisierung der Deutschen Bundesbahn 1994 verbeamtet waren. Für die normalen Angestellten und Arbeiter war die „offizielle” Gewerkschaft eigentlich die Eisenbahn- und Verkehrsarbeitergewerkschaft EVG, welche auch Mitglied des DGB ist. Anfangs wurde die GDL von Linken zuweilen als eine „gelbe” Gewerkschaft abgelehnt. Also als eine Gewerkschaft, die die Einheit der Arbeitenden spaltet im Interesse des Managements. Doch meines Erachtens liegt das prinzipielle Problem bei der EVG. Sie ist sehr sozialpartnerschaftlich ausgerichtet und streikt fast nie, wenn man von punktuellen Warnstreiks absieht. Deshalb hat die EVG auch weniger Anziehungskraft als die GdL. Die GdL ist längst keine reine Lokführergewerkschaft mehr.

Warum sind überhaupt noch Leute bei der EVG?

Die meisten EVG-Mitglieder sind entweder aus Tradition oder aus finanziellen Gründen dabei. Die vergibt zum Beispiel Bildungs- und Gesundheitszuschüsse. Auch die Azubis sind fast alle in der EVG. Die EVG hat Sympathien von manchen „klassisch-gewerkschaftlichen” Arbeitern, weil sie die GdL als sektiererisch wahrnehmen. Und insbesondere, wenn es um Fragen wie die Zusammenarbeit im Betriebsrat geht, bekleckert sich die GdL auch nicht gerade mit Ruhm. Während ich persönlich die EVG nicht besser finde, hat diese den Vorteil, die etablierte Gewerkschaft zu sein. Das zeigt sich unter anderem an den Mitgliederzahlen: auf rund 40.000 Mitglieder der GdL kommen mehr als viermal so viele EVG-Mitglieder, das heißt etwa 180.000.

Dass in einem Unternehmen mit zwei Gewerkschaften quasi parallel Tarife ausgehandelt werden, ist reichlich untypisch für Deutschland. Die Bundesregierung müsste bei solch einem strategisch wichtigen Bundesunternehmen doch eigentlich ein Interesse haben, diesen Zustand zu beenden, oder nicht?

Mag sein, aber offenbar war das Kalkül bislang ein anderes. Fakt ist, dass der Gesetzgeber vor wenigen Jahren versucht hat, mit dem „Tarifeinheitsgesetz“ die harmlose EVG weiter zu bevorteilen und die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung bei Bahn zu vertiefen. Dieses Gesetz sagt aus, dass nur die zahlenmäßig stärkste Gewerkschaft in einem Betrieb den Tarif aushandeln darf. Nach der Liberalisierung der 90er Jahre ist die Bahn aber heute in zahlreiche sogenannte Wahlbetriebe zerteilt worden. In 54 dieser Betriebe verhandelt die EVG als größte Gewerkschaft den Tarifvertrag. In 18 Betrieben verlaufen die Verhandlungen mit der GdL – unter anderem für die Lokführer. Das Gesetz fällt ihnen nun auf die Füße, da die GdL einfach getrieben wird, militanter zu sein, um im Unternehmen weiter Fuß zu fassen.

Aber die Tarifabschlüsse, die GdL und EVG mit der Bahn abschließen, unterscheiden sich nicht allzusehr in der Höhe, oder?

Da hast du Recht. Die EVG schließt nicht grundsätzlich viel schlechtere Tarifverträge ab als die GdL. Zudem gibt es auch die „Angstklauseln“. Sie besagt, dass der mit der EVG ausgehandelte Tarifvertrag nachzieht, wenn die GdL zwischenzeitlich einen besseren Abschluss erreicht. Die DB und die EVG haben solche Klauseln schon öfter vereinbart, zum Beispiel 2021. Aber hier sieht man schon das Problem. Die EVG ist passiv und hängt sich an die Aktivität der GdL dran. Folglich hat die EVG auch eine sehr geringe Basisaktivität. Während es rein formal in meinem Werk mehr EVG- als GdL-Mitglieder gibt, fallen mir 3 GdL-Aktivistinnen und -Aktivisten sofort ein. Von der EVG kenne ich bei uns überhaupt niemanden, der aktiv ist.

Wie gehst Du mit der Situation um?

Ich war als Lehrling bei der EVG. Ich bin nun der GdL beigetreten, ohne die EVG zu verlassen. Ich wurde schon gefragt, was das soll. Da habe ich gesagt: die Spaltung ist das Problem. Wir sollten eine Einheitsgewerkschaft haben, die aber so kämpferisch wie die GdL ist. Solange aber GdL und EVG gegeneinander stehen, gibt es keine wirkliche Lösung. Die EVG ist mächtig und brüstet sich gerne damit, eine weitaus mächtigere Verhandlungsbasis als die GdL zu haben, und das stimmt. Sie steckt aber viel zu tief im Brei der Sozialpartnerschaft, um sie zu nutzen.











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