Bei den Nationalratswahlen am 29. September 2024 in Österreich ist die FPÖ mit 28,8% der Stimmen zum ersten Mal als stärkste politische Kraft in das Parlament eingezogen. Nach den Wahlerfolgen faschistischer Parteien in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zeigte sich hier erneut ein bedeutender Erfolg einer rechten Partei. Selbst eine Regierung unter der Führung der FPÖ ist nunmehr denkbar. Mit Herbert Kickl, der seit 2021 an der Spitze steht und die FPÖ auf den Rechtskurs getrimmt hat, machte die FPÖ einmal mehr einen entscheidenden Schritt in ihrer Entwicklung zu einer faschistischen Partei. So trat die FPÖ unter anderem mit einem Wahlprogramm an, das auf der einen Seite unter der Überschrift »Festung Österreich – Festung der Freiheit« vor allem das Festhalten an ›Identität‹ und ›Nation‹ propagierte. Auf der anderen Seite ist es das zentrale Anliegen Angst vor Einwanderung und ›Überfremdung‹ zu schüren und offen für eine Politik der ›Remigration‹ zu plädieren.
David Reisinger studierte Soziologie und ist seit Jahren für die österreichische sozialistische Organisation Linkswende in der antifaschistischen Bewegung aktiv. Außerdem schreibt er für die gleichnamige Zeitung der Gruppe zu unterschiedlichsten Themen.
RevoLinks: Die FPÖ zog bei den Wahlen am 29. September mit einem Ergebnis von 28,8 Prozent zum ersten Mal als stärkste Partei in den Nationalrat ein. Welche Bedeutung misst du dem Wahlsieg der FPÖ für die politische Situation in Österreich zu?
David: Was zuerst gesagt werden muss: Die Wahlen waren generell ein Rechtsruck. Die Linke hat durchweg schlecht abgeschnitten. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) hat leicht verloren, die Grünen stark, nur die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) hat leicht dazu gewonnen. Die parlamentarische Linke ist so schwach wie noch nie seit 1945. Der FPÖ-Erfolg kam keineswegs überraschend und wir haben uns schon länger auf ihn eingestellt.
Der Wahlsieg der FPÖ bildet international keine Ausnahme und liegt im Trend. Wir erleben gerade in ganz Europa den Aufstieg rechtsextremer Parteien. Das ist vor allem im Vergleich zur ersten FPÖ-Regierung in den frühen 2000er Jahren wichtig. Damals waren rechtsextreme Parteien in Europa weit schwächer und der Wahlerfolg der FPÖ bildete eine Ausnahme.
Eigentlich galt die FPÖ als geschwächt; nachdem die letzte schwarz-blaue [konservativ-faschistische] Regierung vor etwa fünf Jahren an einem Korruptionsskandal zerbrochen ist, haben große Teile der Medien und der Linken gedacht, die FPÖ sei weg vom Fenster. Viele Leute haben geglaubt, die FPÖ werde nicht mehr gewählt, weil sie als korrupt demaskiert worden ist. Darauf hat man sich ausgeruht. Aber nach fünf Jahren war die FPÖ schließlich wieder da, wo sie zuvor gestanden hat.
Wie zeigt sich die Radikalisierung der FPÖ insbesondere unter dem Parteivorsitz von Kickl?
Die FPÖ ist aktuell so rechts wie noch nie. Während der Corona-Krise hat sie zum ersten Mal wirklich erfolgreich Straßenbewegung mit aufgebaut. Die Corona-Proteste waren mit die größten Demonstrationen in der österreichischen Geschichte. Gemeinsam mit außerparlamentarischen Neonazis und Hooligans und hat sich die FPÖ auf der Straße radikalisiert. Mit Kickl endete jegliche Distanzierung der FPÖ vom außerparlamentarischen Umfeld an Rechtsextremen. Die letzte schwarz-blaue Regierung hat sich auf öffentlichen Druck hin einmal von den Identitären distanzieren müssen. So etwas hält Kickl gar nicht mehr für nötig.
Was sind die Gründe für den Wahlerfolg der FPÖ? Immerhin hat sie bei den Nationalratswahlen 12,4 Prozent hinzugewinnen können.
Der Hauptgrund für den Erfolg der FPÖ ist das Versagen der schwarz-grünen Vorgänger-Regierung, der unbeliebtesten Regierung in der österreichischen Geschichte. Kritik an ihr kam durchgehend von rechts. Dabei hätte es von links mehr als genug Gründe für Kritik und Protest gegeben. Grüne haben sich an Abschiebungen, auch von Kindern, beteiligt. Und anstatt diese menschenfeindliche Politik anzugreifen, hat die SPÖ in das rassistische Lied, wir hätten zu viele Flüchtlinge, eingestimmt. Bei Themen wie Antirassismus hat die Linke ihre eigene Basis durchgehend demobilisiert. Aber auch hier liegt man ja eigentlich voll im europäischen Trend: Die Linken geben der extremen Rechten nach und meinen, deren Kritikpunkte seien im Grunde berechtigt, woraufhin die extreme Rechte gestärkt weiter marschiert.
Den Resultaten nach spielten linke Parteien bei diesen Wahlen kaum eine Rolle. Was sind die Gründe für das schlechte Abschneiden der parteipolitischen Linken?
Mit Andreas Babler hatte die SPÖ ihren linkesten Spitzenkandidaten seit Jahrzehnten. Das Problem bestand darin, dass der SPÖ-Parteiapparat grundsätzlich alles getan hat, sowohl um einen linken Kandidaten zu verhindern als auch einen Linksruck der SPÖ. Selbst wenn es durch eine Mitgliederbefragung gelingt, einen wirklich linken Kandidaten an die Spitze der Partei zu stellen, heißt das nicht, dass auch die Partei insgesamt einen linken Kurs einschlägt.
Am Anfang haben wir noch ein bisschen darüber spekuliert, ob Babler so etwas gelingt wie Jeremy Corbyn mit der Labour Party in Großbritannien, also die Sozialdemokratie wieder an ihren alten Werten auszurichten. Der Parteiapparat verhindert das. Im Unterschied zu Corbyn ist es dem Parteiapparat der SPÖ früher gelungen, Andreas Babler zu zähmen und schließlich abzuschießen.
Das ist auch deshalb bitter, weil innerhalb der Sozialdemokratie aktuell die Erzählung Oberhand gewinnt, der zufolge Babler verloren habe, weil er zu links gewesen sei. Damit wird die Partei gerade auf einen Rechtsruck vorbereitet. Er hat nicht verloren, weil er zu links war, er hat verloren, weil es ihm nie gelungen ist, diese Partei wirklich auf einen klassenkämpferischen Kurs einzuschwören.
Die Grünen wurden bei den vergangenen Wahlen für ihre opportunistische Regierungsbeteiligung brutal bestraft und haben mit einer Stimmeneinbuße von über fünf Prozent bezahlt. Da hat man erlebt, wie viele Leute, die Hoffnungen in die Grünen gesetzt hatten, nun doch zurück zur SPÖ gewechselt sind oder einfach nicht gewählt haben.
Aber auch Babler hatte zum Erfolg der FPÖ beigetragen. In der Hoffnung, bei sozialen Themen eine Dynamik in der SPÖ zu entfalten, war er in den Fragen Antirassismus und Antiimperialismus auffällig schweigsam. Und genau hier hätten die Rechtsextremen unter Hickel angegriffen werden müssen.
Die FPÖ trat mit einem sehr rechten Programm an, unter anderem mit Begriffen wie ›Raum‹ und ›Volk‹; und das soll die Angst vor einer angeblichen Überfremdung und einer Islamisierung massiv schüren. Das ist das klassische Motiv rechter Parteien. Wieviel Rassismus steckt in der FPÖ?
Rassismus ist das Thema, mit dem die FPÖ Leute gewinnt. Auf ihren Wahlplakaten zeigt sie offen Anspielungen auf die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis. Rassismus ist das bestimmende Thema der FPÖ, das sich durchzieht. Was man diesmal gesehen hat ist, wie sie sich rechtsextreme Begriffe zurückholen. So z.B. der Begriff ›Remigration‹, der das erste Mal wortwörtlich so im Programm steht. Der stammt ganz klar von den Identitären, einer relativ neuen Nazibewegung, die außerhalb des Parlaments agiert. Die Annäherung an die Stiefelnazis und die eigene Radikalisierung ist das Erfolgsrezept der FPÖ. Hinzu kommt die Islamfeindlichkeit.
Man sieht bereits, dass Muslima und Muslime als Feindbild durch die bürgerliche Medienwelt weit außerhalb der extremen Rechten ein bestimmendes Thema geworden sind – und das quasi seit dem Krieg gegen Afghanistan 2001 – 2021 und den Irak 2003 – 2011. So macht man es der FPÖ wahnsinnig leicht, an diesem Rassismus anzuknüpfen und sich als konsequente Lösung für ein erfundenes Problem zu präsentieren. Vor den Wahlen gab es in Österreich allen Ernstes Mediendebatten darüber, ob islamische Namen in Wien nicht schon die häufigsten seien, oder auch eine besessene Beschäftigung mit rassistischen Kriminalitätsstatistiken um Messerstecher in Österreich.
Diese Themen wurden im Wahlkampf verstärkt und gegen alle Fakten diskutiert – und das war ein Geschenk für die FPÖ. Hier sieht man, dass es der FPÖ immer offener gelingt, mit völkischen Begriffen die Sprachschrauben weiter und weiter nach rechts zu drehen.
Seit 2021 führt Herbert Kickl die FPÖ und es lässt sich seitdem eine Radikalisierung der Partei feststellen. Inwieweit bestanden dennoch bereits zuvor faschistische Strukturen innerhalb dieser Partei oder zeigen sich jetzt verstärkt?
Ich glaube, in ihrer Geschichte hat man bei der FPÖ schon immer gesehen, dass es viele karrieristische Mitglieder gibt, die alles in ›geordneten Bahnen‹ laufen lassen wollen. Neben den Bemühungen, Debatten nach rechts zu verschieben, gab es auch die Bereitschaft, sich den Konservativen zu öffnen. Dieser eher ›realpolitisch‹ ausgerichtete Flügel ist unter Kickl schwächer und leiser geworden. Sein Lager will zeigen, dass das Programm jetzt kompromisslos durchgezogen werden soll, wofür man auch bereit ist, das Spielfeld der parlamentarischen Politik zu verlassen.
Die Corona-Proteste waren da eine wichtige Entwicklung, die gezeigt hat, dass die FPÖ erfolgreich auf der Straße mobilisieren kann. Gerade für jemanden wie Kickl, der aus einem eher intellektuellen Milieu der FPÖ kommt, müssen die Auftritte vor 50 000 bis 60 000 Menschen sehr prägende Momente gewesen sein. Wir haben argumentiert dass sie immer schon faschsitsch waren nur in stabileren Zeiten nicht so weit auftreten konnten und sich darum punktuell karrieristisch öffnen mussten Unserer Einschätzung nach ist die FPÖ eine im Kern faschistische Partei. Im Unterschied zu den vergangenen Regierungsbeteiligung sind wir aktuell in einer viel krisenhaftere Situation. Ökologisch, Geopolitisch, Ökonomisch usw. Darum kann die FPÖ radikaler und radikaler auftreten.
Eine faschistische Doppelstrategie besteht ja darin, auf der einen Seite weiter die parlamentarischer Arbeit fortzuführen und gleichzeitig eine Bewegung auf der Straße aufzubauen. Was wären denn so klassische faschistische Merkmale, die man bei der FPÖ feststellen kann?
Das ist einer der spannenden Unterschiede zur AfD. Die AfD ist ja eine Partei, die sich in Etappen nach rechts entwickelt hat. Die FPÖ wurde schon von Mitgliedern der NSDAP gegründet. Ursprünglich hieß sie Verband der Unabhängigen (VDU) und wurde im Oktober 1955 in FPÖ umbenannt. Ihr erster Bundesparteiobmann wurde im April 1956 Anton Reinthaller, der SS-Brigadeführer gewesen ist und auf einer Liste besonders schwerer Kriegsverbrecher geführt wurde.
Wichtig ist weiter, dass sich das Führungspersonal der FPÖ seit Jahrzehnten immer wieder aus deutschnationalen Burschenschaften rekrutiert. In Österreich gibt es an den Universitäten eine sehr lebendige Tradition von deutschnationalen Burschenschaften und diese bilden noch immer die Schnittstelle zwischen einem außerparlamentarischen Rechtsextremismus und der FPÖ.
Desweiteren existiert eine Doppelstrategie der FPÖ, mit der systematisch versucht wird, den Staat nach rechts zu verschieben. Die FPÖ gewinnt vor allem innerhalb der Polizei Anhänger und Mitglieder, die bereit sind, ihre Kompetenzen für die Partei zu überschreiten. In der letzten schwarz-blauen Regierung gab es diesen unglaublichen Vorfall, als Polizisten –einer FPÖ-nahen Einheit– den Verfassungsschutz gestürmt haben, um sich Daten zu beschaffen. Bis heute ist nicht geklärt, welche Daten da raus gegriffen wurden Mittlerweile ist auch bekannt das ein unter Spionageverdacht stehender Verfassungsschützer Daten über Antifaschist:innen abgegriffen und an unbekannte Quellen weitergespielt hat.
Es gab zudem in der Vergangenheit Momente, in denen versucht wurde, Bewegungen auf der Straße zu initiieren. Zentral waren hier Proteste gegen eine Moschee in Wien, organisiert und angeführt von der FPÖ; vorneweg wurde eine Moschee aus Pappe getragen und die Leute dahinter brüllten: »Anzünden!«.
Unter Kickl ist dieser Schulterschluss mit der extremen Rechten, die außerparlamentarisch agiert, viel enger geworden.
Der Kampf gegen die Nazis nicht im Parlament sondern auf die Straße. Wie steht es um die Mobilisierung gegen rechts – vor allem angesichts des Wahlerfolg?
Man muss leider sagen, dass auch die außerparlamentarische Linke aktuell in einer schwächeren Situation ist als sie früher war. Bis 2020 hatten wir immer die klare Position, dass die Rechte im Parlament gewinnen kann, aber sobald man auf der Straße Proteste organisiert, sieht man, dass die Linke stärker ist. Während der Corona Proteste, die keine rein faschistische Straßenbewegung darstellten, war es zum ersten Mal anders. Dort konnten die Faschisten Selbstvertrauen tanken und haben gemerkt, wir können die Straße gegen die Linke beherrschen.
Jetzt müssen wir als Linke regelmäßiger gegen Naziaufmärsche mobilisieren und wir haben es nicht mehr so leicht wie früher, als man in breiten Bündnissen mit 40 000 bis 50 000 Leuten auf die Straße zog.
Wir erleben, dass die Linke brutal gespalten ist. Natürlich auf der einen Seite in der Frage des Nahostkonflikts. Hier versucht das pro-zionistische Lager verstärkt, alles was migrantisch und muslimisch ist, aus den Protesten herauszudrängen. Das ist für uns selbstverständlich ein absolutes No-go. Das führt zum Problem, dass es der radikalen Linken nicht mehr so leicht gelingt, in dieses Milieu von muslimischen und migrantischen Menschen vorzudringen.
Ein weiteres großes Problem ist die Zurückhaltung bei den Protesten. Nach dem Bekanntwerden der Zusammenkunft von Rechtsextremisten im November 2023 in einer Potsdamer Villa, an der auch Politiker und Funktionäre der AfD, Mitglieder der sogenannten Werteunion sowie der österreichische Rechtsaußen-Aktivist Martin Sellner teilgenommen haben und auf der die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland durchgespielt worden ist, hat es auch bei uns große Proteste gegeben. Aber diese Demonstrationen haben unter dem Motto ›Demokratie verteidigen‹ stattgefunden. Die Linie war zahm und hat die FPÖ nicht konfrontiert.
Andererseits hatten wir am Wahltag einen breit aufgestellten Protest, der als Demonstration zum Parlament gezogen und unterwegs immer größer geworden sind. Im Anschluss brach ein Protestzug mit etwa 600 – 700 Teilnehmenden spontan vom Parlament zur Wahlparty der FPÖ auf, der allerdings von der Polizei gestoppt worden ist.
Wir müssen darauf achten, dass die antifaschistische Bewegung nicht zu einem netten zivilgesellschaftlichen Protest verkommt, wo alle wichtigen Fragen außen vor gelassen werden. Zentral ist, in der antifaschistischen Bewegung ganz klar Position gegen Rassismus und für Muslime zu beziehen und auch beim Thema Palästina nicht schweigen. Es muss uns gelingen, gemeinsam mit diesen Menschen die Proteste gegen die FPÖ aufzubauen.
David, wir danken dir für das Gespräch und wünschen euch viel Erfolg!