Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist Geschichte. Kanzler Scholz regiert nur noch mit einer Minderheit im Bundestag. Tatsächlich ist die Ampel nicht erst in diesem November gescheitert. Seit Beginn ihrer Existenz sanken ihre Popularitätswerte kontinuierlich. Karl Naujoks analysiert die Hintergründe.
Die Ampelkoalition ist am 6. November zerbrochen. Unmittelbarer Auslöser war der Streit um den Bundeshaushalt 2025, auf den sich SPD, Grüne und FDP eigentlich schon Monate zuvor im Bundeskabinett geeinigt hatten. Lediglich eine verhältnismäßig geringe Deckungslücke zwischen Einnahmen und Ausgaben sollte noch vor der entscheidenden Lesung des Bundstages geklärt werden, die traditionell Ende November stattfindet.
Doch dazu kommt es nun nicht mehr. FDP-Finanzminister Lindner, SPD-Kanzler Scholz und Grünen-Vizekanzler Habeck trafen sich am 6. November, um die Dinge zu klären. Doch Lindner weigerte sich dort kategorisch, die notwendigen Kredite zur Beseitigung der Deckungslücke aufzunehmen. In einer Sitzungspause stach er diese Weigerung an Bild.de durch – und provozierte so seine darauffolgende spektakuläre Entlassung.
Lindner wollte das Ende
Es ging um eine Haushaltslücke von vielleicht 0,2 bis 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit Verweis auf den Wahlsieg Trumps hatte Scholz in der Krisensitzung vorgeschlagen, einen ›Notstand‹ bezüglich der Ukrainehilfen zu erklären und 15 Milliarden Euro außerhalb des regulären Haushalts zu verbuchen. Lindner lehnte das mit Verweis auf die ›Schuldenbremse‹ ab.
Das Problem hatte er ein paar Tage zuvor in einem Papier weiter verschärft, in dem er eine »Wirtschaftswende« einforderte. Darin enthalten: eine Forderung nach Steuersenkungen für Unternehmen von effektiv 4,5 Prozent bereits für 2025 – was den Spielraum in den Haushaltsverhandlungen automatisch weiter eingeschränkt hätte.
Das heißt: Lindner wollte die Scheidung – offenbar in dem Kalkül, über eine harte Haltung für die Klasseninteressen der Unternehmen und Besitzenden ein bis zwei Prozent an Stimmen dazuzugewinnen. Lindners Ziel ist es, die FDP bei vorgezogenen Bundestagswahlen über die 5-Prozent-Hürde zu hieven und so mit einem blauen Auge aus der dysfunktionalen Ampelkoalition herauszukommen.
Tiefere Ursachen
Der Streit, der den Bruch auslöste, ist symptomatisch, aber nicht zufällig. Die ›Schuldenbremse‹, auf die sich Lindner beruft, wirkt als ein Haushaltsdisziplinierungsinstrument, das Nettokreditaufnahmen des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt. Alles darüber wird als ›verfassungswidrig‹ einstuft. Die Bundesländer dürfen seit 2020 überhaupt keine Schulden mehr machen.
Diese Regel ist keine Erfindung der FDP. Sie wurde 2009 eingeführt und im Grundgesetz verankert – mit den Stimmen von CDU/CSU und – der SPD.
Ziel war und ist es, jeder Sozialpolitik im Interesse der arbeitenden Klasse in Zeiten knapper Kassen einen Riegel vorzuschieben. Was sich so positiv nach Schutz vor ausufernden Belastungen anhört, ist in Wirklichkeit ein Haushaltsdiktat, das sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung richtet – und das nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag wieder abgeschafft werden kann.
Die SPD versprach sich eine bequeme Ausrede, warum sie in der Regierung nicht die Hoffnungen ihrer Wählerinnen und Wähler oder die Erwartungen der Gewerkschaften erfüllen würde.
Als SPD und Grüne 2021 mit der FDP eine Koalition eingingen und ihr bereitwillig den Posten als Finanzminister überließen, war das Kalkül genau dasselbe.
Der Sparkommissar Lindner sollte als Verantwortlicher und zugleich eine Art unüberwindlicher Sachzwang dastehen, wenn die Ampelregierung als Ganze die Interesse des deutschen Kapitals priorisieren und die Interessen der arbeiten Klasse hintan stellen würde. SPD und Grüne hofften, den eigenen Anhängern mit Lindner auf diese Weise auch gleich den passenden Sündenbock präsentieren zu können.
Doch das Kalkül ging nicht auf.
Der Unmut fiel ganz auf SPD und Grüne zurück. Die SPD rutschte vom Oktober 2021 bis zum Oktober 2024 in nur drei Jahren von 25 auf 16 Prozent ab, die Grünen von 17 auf 12 Prozent, die FDP von 13 auf drei Prozent. In den Umfragen sank die Zahl der ›sehr Zufriedenen‹ und ›Zufriedenen‹ bei Olaf Scholz von 60 auf 21 Prozent, bei Robert Habeck von 50 auf 28 Prozent und bei Christian Lindner von 47 auf 17 Prozent.
Der Niedergang von SPD und Grünen in der Ampel drückt in konzentrierter Form die Krise des Reformismus aus – also der Idee, über Reformen den Kapitalismus zähmen zu können.
Olaf Scholz gewann 2021 die Wahl vor allem mit dem Versprechen, die Mindestlöhne anzuheben. Und tatsächlich wurden sie zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro angehoben.
Das Problem: Mit der 2022 einsetzenden hohen Inflation wurde diese Erhöhung praktisch sofort wieder neutralisiert. Die durch die Politik der Ampel provozierten massiven Preissteigerungen bei Energie und auch Nahrungsmitteln trafen insbesondere die Armen und die Schichten mit niedrigem Einkommen.
Die marktkonforme Klimapolitik von Wirtschaftsminister Habeck hat ihren Teil dazu beigetragen.
Das Heizungsgesetz von 2023, das die Kosten für den verpflichtenden Einbau von Wärmepumpen den Haus- und Wohnungsbesitzern überhelfen sollte, schürte enorme Ängste bei Kleineigentümern. Eine Kampagne der Bild-Zeitung und anderer rechter Medien verschärfte dieses Klima.
Die Folgen sind statistisch nachweisbar. Nicht nur hat die Armutsquote in Deutschland laut des aktuellen Verteilungsbericht des gewerkschaftsnahen Instituts WSI einen neuen Höchststand erreicht. Auch die Erwartungen zeigen nach unten: Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte, aber auch knapp 47 Prozent in der oberen ›Mittelschicht‹, fürchteten im vergangenen Jahr, ihren Lebensstandard künftig nicht mehr halten zu können.
AfD profitiert
Vom Versagen der Ampelpolitik und den verbreiteten Ängsten profitiert bislang vor allem eine Partei: die faschistische AfD. 2023 erreichte sie den Durchbruch in den Umfragen und mit bundesweit 23 Prozent ihren bisherigen Höchststand.
Die Reaktion von SPD und Grünen hat das entscheidend beeinflusst. Anstatt der rassistischen Kampagne der AfD und ihren Helfershelfern in der Bild-Redaktion etwas entgegenzusetzen, machten sie das Teile-und-Herrsche-Spiel mit und überboten sich mit Vorschlägen zu mehr und schnelleren Abschiebungen.
Vor einem Jahr, im Oktober 2023, machte der Spiegel mit einem Kanzler-Zitat auf. Olaf Scholz kündigte an: »Wir müssen endlich im großen Stil abschieben«. Grünen-Ministerpräsident Kretschmann trat ein Jahr später mit den CDU-Landeschefs Wüstner und Günther auf und forderte ebenfalls schärfere Maßnahmen gegen ›Zuwanderung‹.
SPD und auch Grüne unterstützten so die Kampagne, wonach der Zuzug von Menschen Schuld an der Unsicherheit im Lande sei – und wurden effektiv zu Wahlhelfern der AfD.
Aufrüstung und Sozialmisere
Die Liste des Versagens der Ampelkoalition ist zu lang, als dass hier alles auch nur annähernd aufgeführt werden könnte. Als selbst ernannter »Fortschrittskoalition« gelang es ihr nicht einmal, eigentlich unstrittige Vorhaben wie die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs umzusetzen.
Hinter diesem Versagen steckt indes System. SPD und Grüne sind der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitalismus verpflichtet. Auf die Zuspitzung der globalen Widersprüche reagierten sie mit einem massiven Aufrüstungsprogramm. Wirtschaftsminister Habeck bezeichnet sich selbst als »Rüstungsindustrieminister«. Konzerne wie ThyssenKrupp, TSMC oder Tesla werden darüber hinaus mit Milliardensubventionen unterstützt oder angelockt.
In der Folge steigt der reguläre Militärhaushalt weiter und weiter – und zusätzlich verkündete Scholz 2022 100 Milliarden Euro für ein ›Sondervermögen Bundeswehr‹. Die CDU/CSU spendete spontan stehende Ovationen. Diesen Schattenhaushalt hat seitdem niemand in der herrschenden Klasse in Frage gestellt, auch nicht Finanzminister Lindner.
Geld für die Mehrheit der Bevölkerung wurde und wird dagegen ausschließlich als Kostenfaktor abgestempelt. Ausgaben für Krankenhäuser, Kitas, Schulen, Gehälter im öffentlichen Dienst: Alles wird gedrückt, soweit es nur geht.
Natürlich gab es auch aus Ausnahmen. Aber selbst die nutzten der Ampelkoalition kaum – weil die Prioritäten andere sind.
Beispielhaft steht dafür die Einführung des 9-Euro-Tickets im Sommer 2022. Es ist 52 Millionen Mal verkauft worden und ermöglichte nahezu Allen die erschwingliche und klimafreundliche Nutzung der Busse und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr.
Doch schon vor seiner Einführung wurde es von den Medien schlechtgeredet, sekundiert von den Verantwortlichen in der Ampelkoalition.
Der Grund ist einfach: Ein solches Ticket ist gut für das Klima, und gut für die Mehrheit der Bevölkerung. Aber dafür muss der Staat Geld zahlen, das die Ampelkoalition lieber in Aufrüstung oder Industriesubventionen steckt.
Ergebnis: Nach nur drei Monaten wurde das erfolgreichste Projekt der Ampel wieder eingestellt.
Wie weiter?
Aus dem Scheitern der Ampelkoalition können wir eines lernen: Hoffnungen in eine Reform- oder Fortschrittskoalition führen in die Sackgasse. Nicht Wahlkampf, sondern Klassenkampf ist der Schlüssel zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen.
Das ist das Aufregende an der Situation. Der Bundestagswahlkampf fällt mit der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst zusammen. Auch kann es nach der angekündigten Schließung von drei VW-Werken zu Abwehrkämpfen kommen, die weit über die betroffenen Belegschaften ausstrahlen können.
Das Ende der Ampelkoalition muss der Linken keine Angst machen. Es ist bloß der Auftakt für die nächste Runde im Klassenkampf.