Kein Geld für die Opfer – Bundesregierung lässt Frauenhäuser im Regen stehen
Im Jahr 2023 wurden 360 Frauen in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Statistisch gesehen fügt alle vier Minuten ein Mann einer Frau oder einem Mädchen Gewalt zu. Dagegen demonstrieren am 25. November Tausende. Die rot-grüne Minderheitsregierung stellt sich als Verbündete in diesem Kampf dar – solange er nichts kostet.
Von Victoria Berger
»Es entsetzt mich, wenn ich diese Zahlen ansehe – das ist unerträglich und geht uns alle an.« Die Gesichter waren lang, als Nancy Faeser (SPD) und Lisa Paus (Grüne) am 19. November das Bundeslagebild zur Gewalt an Frauen präsentierten.
Nach außen üben sich beide in Betroffenheit. Tatsächlich haben sie als Ministerinnen der Ampelregierung die beiden wichtigsten Versprechen an Frauen nicht eingelöst.
Zum einen haben sie die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs verschleppt. Die als ›Fortschrittskoalition‹ gestartete Ampel versprach die Reform des § 218, der Abtreibung als Straftat definiert. Auch wenn in der Praxis niemand deshalb verurteilt wird, sind die Konsequenzen weitreichend. Schwangerschaftsabbrüche sind in der Regel keine Kassenleistung, sind nicht Teil der medizinischen Ausbildung und nachteilig für die Karriere von Ärztinnen und Ärzten. Folge ist eine flächendeckende Unterversorgung in Deutschland, vor allem auf dem Land. Obendrein ist eine Abtreibung ein rechtlich fixierter Makel, der an den Betroffenen haften bleibt.
In ihrem Koalitionsvertrag hat die Ampel versichert, den § 218 abzuschaffen. 75 Prozent der Deutschen befürworten das. Dennoch hat die Ampelkoalition das Reformvorhaben verschleppt.
Nach dem Scheitern der Ampel kann der konservative Hardliner Friedrich Merz dieses Versagen nutzen, um durch Vorstöße in der Frage einen drohenden »Großkonflikt« und die »Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens« zu beschwören.
Merz versucht, die hart erkämpften Freiheiten und gesellschaftlichen Fortschritte für Frauen anzugreifen. Er ermutigt die rechtesten Elemente in der eigenen Partei. Das Kölner CDU-Mitglied Gundolf Siebeke twitterte, dass man über das Frauenwahlrecht nachdenken müsse, da Wählerinnen zu emotional seien.
Gewalthilfegesetz
Zum anderen wurde das versprochene Gewalthilfegesetz von der Ampel verschleppt. Mit dem Gesetz wollte der Bund Frauenhäuser mitfinanzieren, die den Zugang zu Schutz und Beratung in Fällen von häuslicher Gewalt durch einen Rechtsanspruch garantieren. Dadurch würde endlich Sicherheit für die Träger von Frauenhäusern in den finanziell ausgebluteten Kommunen geschafft werden.
Das Projekt sollte 2,2 Milliarden Euro kosten. Doch das war FDP-Finanzminister Christian Lindner zu teuer. SPD und Grüne sind vor ihm eingeknickt. Für Frauenhäuser ist kein Geld da – während der reguläre Militärhaushalt in einem nie dagewesenen Maße aufgeblasen und zusätzlich für ein Sondervermögen Bundeswehr 100 Milliarden Euro Schulden gemacht wurden!
Heute vergießen Paus und Faeser Krokodilstränen über die Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Doch die Einrichtungen, die Opfern von häuslicher Gewalt die letzte Zuflucht bieten können, werden im Zweifelsfall geopfert.
Billiges Manöver
Jetzt, wo FDP-Chef Lindner nicht mehr Minister ist, gibt es eine scheinbare Wende. Sein Nachfolger Jörg Kukies (SPD) hat dem Vorhaben zur Finanzierung des Gewalthilfegesetz zugestimmt. Das Gesetz soll ins Kabinett der rot-grünen Minderheitsregierung eingebracht werden – dabei ist klar, dass der Bundestag ihm nicht mehr zustimmen wird.
Es handelt sich um nichts anderes als ein buchstäblich billiges Wahlkampfmanöver. Nach dem Motto: Wählt uns – im Unterschied zu den anderen versprechen wir euch das Gesetz, das wir in der Regierung aus Kostengründen nicht umgesetzt haben. Leider gibt es keinen Grund zu glauben, dass die SPD in einer Merz-geführten Koalition erfolgreicher sein wird als in einer Scholz-geführten Ampel.
Fakt ist: In Deutschland fehlen 14 000 Frauenhausplätze.
28 Prozent der Frauen müssen sogar selbst bezahlen, wenn sie ins Frauenhaus flüchten, in manchen Bundesländern sind das monatlich mehr als 4 000 Euro. So wird selbst das eigene Überleben zur Klassenfrage.
Woher kommt die Gewalt?
Frauen und Mädchen werden Opfer von Männergewalt. Doch das ist nicht Ausdruck einer biologisch determinierten, unveränderlichen Aggressivität von Männern. Sie wird produziert in einer krisenhaften Klassengesellschaft, die auch in allen anderen Bereichen von Gewalt geprägt ist.
Im Kapitalismus wird alles zur Ware. Wo man alles kaufen kann, kann man auch alles stehlen. Sexualität ist ein intimer Bereich, aber er unterliegt derselben Logik. Vergewaltigung ist der gewalttätige Raub der Sexualität anderer.
Gewalt gegen die eigene Frau oder Tochter ist Ausdruck der Entfremdung, die im Kapitalismus die menschlichen Beziehungen prägt.
Die Hoffnung, in der Familie einen Zufluchtsort zu finden, der menschliche Wärme verspricht, erfüllt sich für viele nicht. Alle Statistiken zeigen seit Jahrzehnten, dass Gewalt gegen Frauen vor allem im familiären Umfeld stattfindet. Unter dem Druck sozialer Existenzängste, verstärkt durch Probleme wie Alkoholismus, Vereinzelung und Perspektivlosigkeit, treibt der Kapitalismus Gewalt und andere Aggressionen in viele Beziehungen hinein.
Wege aus der Gewalt
Gewalt in der Familie ist Ausdruck individueller Ohnmacht. Dass überwiegend Frauen Opfer häuslicher Gewalt sind, korrespondiert mit ihrer geringeren Integration in den Arbeitsmarkt. Nach wie vor verdienen Frauen im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Frauen, und insbesondere migrantische Frauen, sind überproportional häufig arm. 43 Prozent der Alleinerziehenden sind von Armut bedroht.
Je geringer der soziale Unterschied zwischen Männern und Frauen ist, desto mehr werden stereotype Ideen herausgefordert. Wo wir mit Cheffinnen und Chefs konfrontiert sind, wo wir Kolleginnen und Kollegen haben, wo Frauen wie selbstverständlich als Macherinnen und Wortführerinnen auftreten, dort finden sexistische Ideen von der Frau als Opfer weniger Widerhall.
Sparfeminismus
Dieses Ideal stößt im Kapitalismus auf Schritt und Tritt auf vermeintliche Sparzwänge. Das ist der Grund, warum auch die sich so ›feministisch‹ gebende Regierung unter SPD und Grünen die Verantwortung auf die einzelnen Frauen und Männer abschieben.
Wer mehr Gleichberechtigung will, muss die Belastungen aus der Familie wie der Erziehung sozialisieren. Der muss Einrichtungen schaffen, die die Last des Alltäglichen auf viele Schultern verteilt.
Doch für Kindergärten und Schulplätze ist chronisch zu wenig Geld da, ebenso wie für das Gewalthilfegesetz. Nur die Reichen kennen keinen Mangel an Kinderzimmern, Kindermädchen, Kindergärten, Spielplätzen oder sicheren Zufluchtsorten.
Bessere Gesellschaft
Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb 1938 »Die Stellung der Frau ist der anschaulichste und aussagekräftigste Indikator für die Bewertung eines Sozialsystems und der staatlichen Politik.«
Die Bilanz der Lage von Frauen in Deutschland im Jahr 2024 zeichnet ein düsteres Bild. Die Ampel-Regierung hat die Frauen verraten. SPD und Grüne sind nicht ›der Bevölkerung‹, einem Koalitionsvertrag oder einem abstrakten, liberalen Lippenbekenntnis verpflichtet, sondern dem Fortbestehen des deutschen Kapitalismus.
Doch sexistische Einstellungen und Frauenunterdrückung sind nicht in Stein gemeißelt und können überwunden werden. Den größten Erfolg errang die Frauenbewegung durch die russische Revolution 1917. Frauen, die zu dieser Zeit unter unvorstellbaren Bedingungen lebten, waren aktiver Teil der Revolution und kämpften an der Seite der Männer um ihre Befreiung.
Im Zuge der Revolution veränderte sich die Stellung der Frau. Scheidung und Abtreibung wurden legalisiert. Frauen erhielten das volle Wahlrecht, die revolutionäre Partei der Bolschewiki führte gleichen Lohn, gleiche Rechte am Arbeitsplatz und Mutterschaftsgeld ein.
Kommunale Kindergärten, Restaurants und Wäschereien verlagerten in einer Zeit, in der Haushaltsgeräte wie Kühlschränke oder Waschmaschinen unbekannt waren, die Verantwortung für die Care- oder Reproduktions-Arbeit von den individuellen Frauen auf die gesamte Gesellschaft. Keine reformistische Regierung unserer modernen kapitalistischen Gesellschaft erreichte in Jahrzehnten so viel für Frauen wie die Bolschewiki im ersten Jahr nach der Revolution.
Kampf für den eigenen Körper
Doch auch unter kapitalistischen Bedingungen können Fortschritte erreicht werden, wenn wir darum kämpfen. Beispielhaft ist der Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Es geht um das Recht, den eigenen Körper zu kontrollieren. Als Kampf um weibliche Selbstermächtigung ist er eng mit dem Protest gegen sexuelle Gewalt verbunden.
In Frankreich haben Jahrzehnte des Widerstands dazu geführt, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankert worden ist. Selbst im einst erzkatholischen Irland hat die Frauenbewegung das Recht auf den eigenen Körper erkämpft. In Deutschland müssen wir immer noch dafür kämpfen, dass eine Abtreibung nicht als kriminell gilt.
Kommt mit uns auch am 7. Dezember um 13 Uhr zur Großdemonstration in Berlin und in Karlsruhe gegen den §218! Unter dem Motto ›Wir sind viele! Wir sind mehr! Wir sind die 75%!‹ werden an diesem Tag Tausende erwartet, die die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fordern.
Schlagwörter: §218, Frauenrechte, Gewalt gegen Frauen