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Das »Problem im Stadtbild« heißt Friedrich Merz

Deutschland / Politik / 20. Oktober 2025

AfD als Taktgeberin für Bundeskanzler

Potsdam, 15. Oktober 2025: In einer öffentlichen Rede kündigt Merz an, migrantische Menschen aus dem Stadtbild tilgen zu wollen – mit Abschiebungen. Obwohl CDU/CSU der AfD mit ihrem Rassismus das Wasser abgraben wollen, machen sie sie damit nur stärker, meint unsere Autorin Victoria Berger

Eine Welle der Empörung rollt durch Deutschland: Friedrich Merz steht unter Beschuss, nachdem er in Potsdam bei seinem Antrittsbesuch beim brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) gesagt hat, die Koalition mache in der Migrationspolitik (gemeint sind Abschiebungen) Fortschritte, aber »wir haben natürlich im Stadtbild immer noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen«. CSU-Chef Markus Söder hatte den ›Stadtbild‹-Begriff im September bei einem Interview ebenfalls im Zusammenhang mit Abschiebungen verwendet.

Statt einzulenken, setzte Merz noch einen drauf. Auf Kritik an seiner Äußerung entgegnete er: »Fragen sie mal ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte … ich habe gar nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil, ich unterstreiche es nochmal.« Und Union-Fraktionschef Jens Spahn sprang ihm – wie es sich für konservative Rassisten geziemt: im Revolverblatt Bild – zur  Seite und stieß ins selbe, rassistische Horn.

Hatten Merz, Söder und Spahn zuvor noch auf die Zwangsausweisung von Syrern und Afghanen gedrängt, die straffällig geworden seien, bricht mit der ›Stadtbild‹-Kampagne nun der ungeschminkte Rassismus durch: Abgeschoben werden soll, wer das ›gesunde Volksempfinden‹ eines Merz, Spahn oder Söder behelligt. Und wer stört die ästhetischen Vorlieben dieser kleingeistigen Spießer? Die, deren Hautfarbe nicht hell genug ist? Die, die lieber Shisha in Straßencafés rauchen, statt ihr Bier in die Gosse zu erbrechen? Die, deren Deutsch von einem arabischen Akzent geprägt ist und nicht von Sauerländer Platt oder fränkischem Dialekt?

Ja, wir haben ein Problem im Stadtbild. So müssen die Einwohner Münsters zusehen, wie ein Clan-Krimineller, der als Bundesgesundheitsminister in der Corona-Pandemie mehrere Milliarden nicht nur ihrer Steuergelder in der Masken-Affäre in die Taschen seiner Partei- und Unternehmerfreunde geschaufelt hat, unbehelligt und vergnügt durch ihre Innenstadt flaniert. Aber der Clan-Kriminelle heißt nicht Jussuf und nicht Jemal, sondern Jens – Jens Spahn.

Auch Frauen müssen ertragen, wie sich ein ›kleiner Pascha‹ auf dem Oktoberfest bierselig und ›volksnah‹ in Szene setzt. Dieser kleine Pascha stimmte 1997 als Bundestagsabgeordneter gegen die Strafbarkeit einer Vergewaltigung in der Ehe, 2006 gegen das Gesetz, das Frauen in Ausbildung und Beruf mit Männern gleichstellen soll, und 2024 gegen die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen. Aber der Pascha heißt nicht Mourad und nicht Mehmed, sondern Merz – Friedrich Merz.

Weder Merz’ Rassismus noch seine Wortwahl sind ungeschickte, einmalige Ausrutscher. Die ›Stadtbild‹-Beschwörung ist selbstverständlich auch keine neutrale Beschreibung, sondern eine Folie, auf die sich alles projizieren lässt, und ein Gefühl der Unsicherheit und ein Klima erzeugen soll, das rassistische Anfeindungen und Übergriffe befördert. Von hier ist es nicht mehr weit bis zu US-Präsident Trump und seinen bewaffneten ICE-Schlägertrupps, die Menschen, die sie für Migrantinnen und Migranten halten, von den Straßen kidnappen und in Abschiebezentren verfrachten.

Doch vor allem ist die Äußerung Echo einer kontinuierlich auf die AfD zudriftenden CDU/CSU, die den völkisch-nationalistischen Kampfbegriff für sich in dem Versuch testet, die spektakulären Wahlerfolge der faschistischen Partei zu kopieren. Die ›Stadtbild‹-Hetze entstammt direkt dem AfD-Wahlkampf in Gelsenkirchen. Damit reihen sich sowohl CDU/CSU als auch die AfD hinter Joseph Goebbels ein, der 1941 in einem Tagebucheintrag zu Jüdinnen und Juden schrieb: »Sie verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.«

Ohne Ende Schock-Umfragewerte

In Sachsen-Anhalt, wo im September 2026 Landtagswahlen stattfinden werden, erreicht die AfD aktuell ihren bislang höchsten Wert mit 40 Prozent, mehr als CDU und SPD zusammen – damit kratzt die Partei in Sachsen-Anhalt an der absoluten Mehrheit, 42-45 Prozent wären dafür  notwendig. In Mecklenburg-Vorpommern steht sie bei 38 Prozent und würde damit ihr Ergebnis der Landtagswahl 2021 mehr als verdoppeln. Auch im Westen kann die AfD an Boden gewinnen, wie die Verdreifachung des Ergebnisses bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen verdeutlicht. In manchen Umfragen ist die AfD gar bereits stärkste Partei auf Bundesebene.

Der Höhenflug der AfD ist noch ungebrochen. Dabei behauptete Merz bereits 2018, als die AfD gerade erst wieder in den Bundestag zurückgekehrt war und in Umfragen bei etwa 14 Prozent stand, er könne die Stimmen der AfD halbieren. Der Haken: Im Dienst einer »inhaltlichen Auseinandersetzung« werden AfD-Positionen legitimiert und umgesetzt – zwangsläufig werden bürgerliche Parteien und Konservative zu Getriebenen und gehorsamen Gehilfen des Faschismus, der den Takt vorgibt.

Wenn Konservative (und Sozialdemokraten) den Rassismus instrumentalisieren, treiben sie die Wähler nur in die Hände der konsequentesten Rassisten, die der Nazis. Beleg? Statt die Stimmen der AfD zu halbieren, hat Merz sie verdoppelt.

Welche Brandmauer?

Im Januar sind Merz und die AfD krachend mit dem Versuch gescheitert, das rassistische »Zustrombegrenzungsgesetz« im Bundestag verabschieden zu lassen und damit die sogenannte ›Brandmauer‹ einzureißen. Die Schlappe im Bundestag war für Merz genauso historisch wie sein Versuch, die Zusammenarbeit mit der AfD zu normalisieren. Sie hatte nur eine Ursache: den wachsenden Widerstand im ganzen Land. Zehntausende haben in nur 48 Stunden überall in der Republik demonstriert – aus Protest gegen das skandalöse Einbringen eines Antrags, der mit voller Absicht die AfD als Partnerin für die CDU/CSU hoffähig machen sollte.

Merz’ »Stadtbild«-Rassismus hat eine erneute Kontroverse rund um die ›Brandmauer‹  – die Isolierung der AfD im Bundestag – ausgelöst. Inzwischen empfinden mehr und mehr Konservative die Koalition mit der SPD als Last und schielen auf Bündnisse mit der AfD über die kommunale Ebene hinaus, auf der längst schon kollaboriert wird – dem offiziell geltenden Unvereinbarkeits-Beschluss zum Trotz. Mehrere CDU-Politiker aus Ostdeutschland stellten die grundsätzliche Abgrenzung zur AfD jüngst infrage.

Ein Teufelskreis: Je erfolgreicher die AfD wird, desto stärker wirkt auch der Druck auf die Konservativen, sich auf eine praktische Zusammenarbeit mit der AfD einzulassen.

SPD – Wachs in den Händen der CDU/CSU

Koalitionspartner und Opposition reagierten unterdessen schockiert: Rasha Nasr, Sprecherin für Migrationspolitik in der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dem Spiegel: »Wer an der Spitze eines Landes steht, darf kein Brandbeschleuniger sein.« Lars Klingbeil betonte, es dürfe keinerlei Formen der Zusammenarbeit mit der AfD geben, diese Festlegung sei für die SPD »eine Eintrittsbedingung in die Bundesregierung« gewesen. Grünen-Fraktionschefin Dröge meinte im Bundestag an Merz gewandt, die Aussagen seien verletzend, diskriminierend und unanständig.

Doch die Reaktion des brandenburgischen SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke, der am 15. Oktober direkt neben Merz steht, als der ein ethnisch gesäubertes deutsches Stadtbild herbeisehnt, spricht Bände: Wenn man genau hinschaut, sieht man ihn bei der Pressekonferenz sanft nicken. Die Szene steht symbolisch für das Verhältnis der Koalitionspartner.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag bekam Friedrich Merz mehr als er zu träumen gewagt hatte: Aus dem ›Fünf-Punkte-Plan‹ des Wahlkampfs wurden 17 Einzelvorhaben im Migrationskapitel des fertigen Koalitionsvertrags. Bei Zurückweisungen (die gegen die Dublin-Regeln verstoßen) als Prestigeprojekt konnte Merz  sich durchsetzen. Im Mai 2025 hat das Bundesinnenministerium Grenzkontrollen an allen Landesgrenzen verstärkt. Seit Juli 2025 ist außerdem der Familiennachzug für Schutzberechtigte ausgesetzt. Alles gemeinsam mit der SPD. Die Rückgratlosigkeit der Sozialdemokraten ist eine inhaltliche Kapitulation vor dem grassierenden Rassismus.

Die Geister, die sie riefen

Friedrich Merz’ rassistische Bilanz ist beeindruckend: Im Jahr 2000 gab er von sich: »Wir haben Probleme in Deutschland mit Ausländern – mit Kriminalität, mit sehr hoher Ausländer-Arbeitslosigkeit, mit ungelösten sozialen Konfliktstoffen«, 2023 nannte er Söhne von migrantischen Familien »kleine Paschas«, attestierte Deutschland ein Integrationsproblem und faselte, Geflüchtete würden deutschen Bürgerinnen und Bürger die Zahnarzttermine wegnehmen.

Rassismus ist Teil der politischen DNA des konservativen Mainstreams: Parteien der Manager und Bosse wie die CDU sind darauf angewiesen, das Klima der existenziellen Verunsicherung angesichts von Stellenabbau, Wirtschaftskrise, Kriegstreiberei und Wettrüsten von sich wegzulenken, indem sie gesellschaftlichen Minderheiten wie migrantischen Menschen und Geflüchteten ihr Versagen in die Schuhe schieben.

In der Folge rücken sie selbst immer weiter nach rechts, um die extreme Rechte durch inhaltliche Annäherung vermeintlich einzuhegen. Diese Logik des Nachgebens hat den Faschismus global stark gemacht.

Wir sind das Stadtbild!

Union-Fraktionschef Jens Spahn schmückte die Hetz-Vorlage von Merz gegenüber der Bild mit seinen rassistischen Fantasien aus: »Schauen Sie sich einen Hauptbahnhof an, in Duisburg, in Hamburg, in Frankfurt. Verwahrlosung, Drogendealer, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, meistens Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum. Das hat auch mit irregulärer Migration zu tun, wie es in unseren Innenstädten, auf den Marktplätzen ausschaut.«

Spahn und Merz kanalisieren ein kollektives Gefühl des Abstiegs, das eine materielle Basis hat: Verwahrloste Innenstädte wegen kommunaler Sparmaßnahmen, steigende Obdachlosigkeit als Konsequenz verfehlter Wohnungspolitik, kaputtgesparter ÖPNV. Die Sorgen vieler Menschen haben reale Ursachen, für die die Regierungsparteien die volle Verantwortung tragen. Statt allerdings die Probleme in Angriff zu nehmen – was natürlich Geld kosten würde, das das Kabinett Merz lieber den Reichen und Unternehmern zuschiebt, die die gegenwärtige Krise im Wesentlichen zu verantworten haben – üben sie sich in: Rassismus.

Wenige Tage nach Merz’ Äußerung skandierten bereits Hunderte in Berlin »Wir sind das Stadtbild!« Hier liegt die Alternative zu Vereinzelung, Abstiegsängsten und Hetze: Antifaschistische aber auch soziale Kämpfe können dem Rassismus Einhalt gebieten, da sie dem Klima der Verzweiflung eine solidarische Perspektive entgegensetzen. Die einzig richtige Position ist daher auch die die Ablehnung aller rassistischen Zugeständnisse und Gesetze zur Beschränkung von Zuwanderung und Asyl.

Je entschlossener und breiter der Widerstand gegen Faschismus, Spaltung und Sozialabbau auf den Straßen auftritt, desto weniger Nährboden finden Gestalten wie Merz, Spahn und Weidel für ihr reaktionäres Projekt. Der mächtigste Hebel sind dabei die Gewerkschaften, die als einzige Massenorganisationen migrantische wie nicht-migrantische Lohnabhängige vereinen – sie sind es auch, die der SPD für ihre Feigheit einen Denkzettel verpassen könnten.

Konservative Kräfte können zeitweise unter Druck gesetzt werden, sodass sie auf Abstand zur AfD gehen, das zeigt die Erfahrung. Treiben wir sie vor uns her!











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