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76 Jahre Nakba – Wie der Staat Israel entstand

Palästina & Israel / Theorie & Geschichte / 15. Mai 2024

 

Heute wird in aller Welt der ›Nakba‹ gedacht. Nakba ist arabisch und heißt auf Deutsch ›Katastrophe‹. So bezeichnet die palästinensische Bevölkerung die Erfahrung der massenhaften Vertreibung aus ihrer Heimat im Zusammenhang mit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948. Reuven Neumann beschreibt für RevoLinks die Ereignisse, die dem sogenannten Nahostkonflikt bis heute zugrunde liegen.

 

 

 

Seit Oktober 2023 attackiert die israelische Armee den Gazastreifen mit Panzern und Luftbombardements. Sie hat dabei nicht nur Zehntausende Menschen ermordet, sondern auch die Ortschaften in dem dichtbesiedelten Gebiet weitgehend zerstört, so dass sie praktisch unbewohnbar sind.

Das weckt in der palästinensischen Zivilbevölkerung schmerzhafte Erinnerungen an die Nakba. Denn es droht die weitere massenhafte Vertreibung aus den verbliebenen Teilen Palästinas – wie bereits mit der Staatsgründung Israels. Damals flohen mehr als 800.000 Menschen vor den zionistischen Milizen, aus der später die israelische Armee hervorgegangen ist.

Ideologische Wurzeln der israelischen Staatsgründung

Israels Staatsideologie ist der Zionismus. Dabei handelt es sich um eine Strömung, die am Ende des 19. Jahrhunderts unter Teilen der jüdischen Mittelschichten in Europa entstand. Es war eine Reaktion auf den sich damals rasant ausbreitenden Antisemitismus, also den Rassismus gegen Juden.

Die Zionisten gingen davon aus, Juden würden selbst immer wieder Hass gegen sich erzeugen und ein friedliches Zusammenleben in den europäischen Nationalstaaten sei daher nicht dauerhaft möglich. Einzig ein eigener, separater jüdischer Staat könne eine Lösung bringen.

Der Zionismus bildete damals in der jüdischen Bevölkerung eine kleine nationalistische und politisch rechtsstehende Minderheit. Die Masse der politisch bewussten Jüdinnen und Juden organisierte sich in sozialdemokratischen Parteien, die damals noch revolutionäre Programme verfolgten. Viele dieser links orientierten Juden wurden später prominent, wie Rosa Luxemburg, Leo Trotzki oder Leon Blum.

Theodor Herzl war Ende des 19. Jahrhundert der bekannteste Theoretiker des Zionismus. Als Journalist beobachtete er die Hetzkampagne gegen Dreyfus, einen jüdischen französischen Offizier, der beschuldigt worden ist, ein deutscher Spion zu sein. Herzl schrieb dazu im Juni 1895:
»In Paris gelang ich […] zu einer freieren Einstellung zum Antisemitismus; ich begann, ihn historisch zu verstehen und ihm zu verzeihen. Vor allem erkannte ich, wie sinn- und nutzlos der Versuch ist, den Antisemitismus zu ›bekämpfen‹.«

Er entwickelte daraufhin die Vorstellung, Auswanderung sei die Lösung. »Ein Land ohne Volk für eine Volk ohne Land« war die Losung des Zionismus, die Juden zur ›Rückkehr‹ nach Palästina motivieren sollte.

Doch Palästina, damals ein Teil des Osmanischen Reichs, war keineswegs öde und menschenleer. Damals lebten dort bereits über 300.000 meist arabische Einwohner. Ein Fakt, den die zionistische Bewegung schlichtweg ignorierte. Ganz im Sinne des europäischen Kolonialismus schrieb Herzl 1896 in seiner programmatischen Schrift Der Judenstaat über die Ansiedlung in Palästina:
»Für Europa würden wir dort ein Stück des Grenzwalls gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen

Imperialismus

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Niederlage des Osmanischen Reichs verbesserten die Bedingungen für eine zunehmende jüdische Besiedlung in Palästina deutlich. Im sogenannten Sykes-Picot-Abkommen einigten sich Großbritannien und Frankreich 1916 auf die Aufteilung der arabischen Gebiete im Nahen Osten. Palästina fiel unter die Kontrolle des britischen Imperialismus.

Bereits vor dem Ende des Krieges garantierte der britische Außenminister Arthur James Balfour 1917 in einer Erklärung die Unterstützung für die Bildung eines jüdischen Staates in Palästina. Frühzeitig zeigte sich so die unmittelbare Verbindung zwischen den imperialistischen Großmachtinteressen des britischen Kapitalismus im Nahen Osten mit dem zionistischen Siedlungsvorhaben.

Britische Besatzungstruppen trainierten und rüsteten jüdische Milizen wie die Haganah aus. Die unterstützten später, quasi als Gegenleistung, die britische Besatzungsmacht bei der Niederschlagung des arabischen Aufstands im Jahr 1936.

Tatsächlich schaffte es die zionistische ›Jewish Agency‹, die Einwanderung im Verlauf der 1920er Jahre zu forcieren und die Basis für rein jüdische Wirtschaftskreisläufe, aus denen die arabische Bevölkerung ausgeschlossen wurde, durch gezielten Landkauf zu erreichen. Unter der Devise ›Erobere das Land‹ bauten die Zionisten so vorstaatliche, rein jüdische Parallelstrukturen auf. In jüdischen Betrieben arbeiteten nur Juden, die wiederum von einer rein jüdischen Gewerkschaft vertreten wurden.

Trotz aller kolonialen Anstrengungen der ›Jewish Agency‹ blieb Palästina jedoch ein zutiefst arabisches Land. In all den Jahren war es lediglich gelungen, 5,6% des Landes käuflich zu erwerben. Gegen Ende der britischen Mandatszeit in den 40er Jahren war nur ein Drittel der Gesamtbevölkerung im palästinensischen Mandatsgebiet jüdisch.

Aus der Tatsache, dass möglichst der ganze Bereich des britischen Mandatsgebiets Palästina als Territorium für einen jüdischen Staat vorgesehen war, machten die Zionisten jedoch keinen Hehl. David Ben-Gurion, später der erste Premierminister des Staates Israel, äußerte sich im Mai 1942 bei einer Konferenz in den USA deutlich:
»Deshalb haben wir in unsere Forderung nicht von einem jüdischen Staat in Palästina gesprochen, sondern von Palästina als einen jüdischen Staat.«

Es ging darum, sich in Palästina so viel Land wie möglich anzueignen, notfalls auch mit Gewalt, ungeachtet der dort ansässigen palästinensischen Bevölkerung. Gehe es nicht anders, habe diese eben zu verschwinden.

Vom Teilungsplan zum Vertreibungsplan

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Großbritannien geschwächt und Palästina hatte an strategischer Bedeutung eingebüßt. Die britische Regierung gab ihr Mandat über Palästina auf und überwies die Frage an die neu gegründeten Vereinten Nationen (UNO). Im November 1947 beschloss die Vollversammlung der UNO einen Teilungsplan, nach dem auf 56% des Territoriums von Palästina ein jüdischer Staat entstehen solle. Für die palästinensische Bevölkerung blieben lediglich 44% übrig, obgleich sie bei weitem die Mehrheit darstellte. Überdies lebten auf dem für Juden vorgesehenen Gebiet 438.000 Palästinenserinnen und Palästinenser.

Die zionistische Führung strebte aber einen möglichst großen eigenen Staat an, der über ein möglichst einheitlich besiedeltes Territorium verfügen sollte. Ergebnis war der sogenannte ›Plan D‹. Dabei handelte es sich um eine Art Master-Plan für die großflächige Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung.

Palästinensische Siedlungen und Ortschaften – vor allem diejenigen, die sich in der Nähe zu jüdischen Siedlungen befanden und schwer zu kontrollieren waren – sollten gezielt zerstört werden. Laut einer Anweisung im Plan D sollten arabische Dörfer umstellt, durchsucht sowie jeglicher Widerstand gebrochen werden. Am Ende stand die Vertreibung der dortigen Bevölkerung.

Terrormethoden

Dazu wurde das Land in verschiedene Zonen aufgeteilt. Die Kommandeure der dort operierenden zionistischen Milizen erhielten Listen über die vorhandenen arabischen Siedlungen. Vorsätzlicher Terror war die Methode, um eine Fluchtbewegung auszulösen.

Das bekannteste Beispiel ist das Dorf Deir Yassin in der Nähe von Jerusalem, das im April 1948 von zionistischen Irgun-Einheiten angegriffen wurde. Im Verlauf der Attacke wurden weit über hundert Zivilisten brutal ermordet.

Fahim Zaydan, ein damals 12-jähriger Junge, berichtet:
»Sie holten uns nacheinander heraus. Sie erschossen einen alten Mann und als eine seiner Töchter weinte, erschossen sie auch sie. Dann riefen sie meinen Bruder Muhammad und erschossen ihn vor unseren Augen. Und als sich meine Mutter weinend über ihn beugte und dabei meine kleine Schwester Hudra trug, die sie immer noch stillte, erschossen sie auch sie.«

Es folgte am 22. Mai 1948 das Massaker in Tantura, einem Dorf an der Mittelmeerküste in der Nähe von Haifa, bei dem 90 Menschen ermordet wurden. Statt wie üblich von drei Seiten anzugreifen, um die Bevölkerung zur Flucht zu drängen, wurde das ganze Dorf eingeschlossen. Und das wiederholte sich einige Monate später auch in Dawaymeh bei Hebron, in dem einige hundert Menschen ermordet wurden.

Diese Strategie zielte darauf ab, Angst und Schrecken zu verbreiten, damit die überlebende palästinensische Bevölkerung in Panik aus ihrer Heimat flieht – und so die zionistische Kontrolle über das größtmögliche Territorium durchzusetzen.

So umfasste der Staat Israel bei seiner Gründung schließlich 80% des historischen Palästinas, weit mehr als im UN-Teilungsplan vorgesehen. Bilanz: Über 800.000 Palästinenser haben durch Krieg und Vertreibung ihre Heimat verloren, 531 Dörfer wurden zerstört.

Ethnische Säuberung

Die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung war von Beginn an in der zionistischen Ideologie angelegt. Zu Recht spricht daher der israelische Historiker Ilan Pappé von einer ethnischen Säuberung.

Der Staat Israel entstand auf den Trümmern einer seit Jahrhunderten bestehenden palästinensischen Gesellschaft. Und diese Geschichte scheint kein Ende zu nehmen, denn noch immer breiten sich die israelischen Siedlungen aus und nehmen den Palästinensern weiter ihr Land.

Allein im Westjordanland, der sogenannten Westbank, die Israel erst in Folge des Krieges von 1967 eroberte, leben heute bereits 600.000 jüdische Siedlerinnen und Siedler in zahllosen Siedlungen. Dort regiert heute nicht die Hamas. Und doch haben im Schatten des aktuellen Gaza-Krieges radikale, rassistische Siedlermilizen und die israelische Armee weitere palästinensische Siedlungen in der Westbank ethnisch gesäubert und mehrere hundert Menschen ermordet, ohne dass in Deutschland davon groß Notiz genommen worden wäre.

Das verdeutlich, dass der aktuelle Krieg im Gazastreifen nicht als ein isolierter Konflikt zwischen Hamas und israelischer Armee zu verstehen ist. Vielmehr ist er die Fortsetzung der jahrzehntelangen Vertreibungspolitik und damit auch eine logische Konsequenz der zionistischen Ideologie. Das Ziel bleibt letztlich ein israelischer Staat auf dem Gebiet des historischen Palästina, in dem die Palästinenserinnen und Palästinenser – wenn überhaupt – nur als eine an den Rand gedrängte Minderheit leben dürfen.


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