Breaking

Studierendenproteste in den USA: Bidens Israelpolitik unter Druck

International / Palästina & Israel / 17. Mai 2024

Staat geht brutal gegen Protestcamps vor – eine ehemalige Studentin berichtet

Eine Protestwelle schwappt durch die amerikanischen Universitäten. An Dutzenden Hochschulen gab und gibt es Aktionen und Protestcamps der Studierenden. Sie fordern ein Ende des Völkermords in Gaza und den Stopp aller US-Waffenlieferungen – und wurden damit international zum Vorbild für Proteste, auch an deutschen Universitäten.
Die US-Staatsgewalt geht brutal gegen die friedlichen Proteste vor. Bis zum 1. Mai wurden mindestens 1600 Studierende verhaftet. Seitdem wurden mehrere Camps geräumt, unter anderem an der University of California in Los Angeles (UCLA).

Wir sprachen mit Elisabeth Thomas über die Proteste. Sie hat an der UCLA studiert und war dort gewerkschaftlich für die United Auto Workers (UAW) aktiv. Mit Jewish Voice for Peace, Palestinian Youth Movement und Students for Justice in Palestine hat sie in dem Zusammenhang eng zusammengearbeitet.

Elisabeth, in den USA besetzen derzeit an verschiedenen Universitäten Studierenden den Campus. Wie kam es dazu?

Seit dem 7. Oktober gab es in vielen US-amerikanischen Städten Großdemonstrationen in Solidarität mit Palästina. Zeitweilig protestierten Zehntausende in den Straßen amerikanischer Großstädte. Doch die Regierung und Abgeordnete, auf die durch die Massendemonstrationen Druck ausgeübt werden soll, bleiben stumm. US-Präsident Joe Biden und seine Regierung haben Netanjahus Regierung nicht nur verbal, sondern auch mit Waffen und Geld in ihrem Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung unterstützt.

Dagegen regte sich auch an den amerikanischen Universitäten schnell Protest, denn viele Unis bekommen Stipendien und Projektfinanzierungen direkt vom amerikanischen Verteidigungsministerium oder arbeiten mit Rüstungsfirmen wie Elbit oder LockheedMartin eng zusammen. Manche haben sogar Geld in Wertpapiere von Rüstungsunternehmen angelegt. Daneben gibt es natürlich auch Partnerschaften und Forschungsprojekte mit israelischen Universitäten.

Die Forderungen der Protestcamps sind daher auch von der Situation an der eigenen Universität geprägt. Aber was sie eint, ist der Wunsch nach “Divestment”, also dem Abzug von Investitionen aus diesen Firmen und Institutionen, die das Apartheidsregime in Israel und den Völkermord unterstützen. Damit knüpfen sie an die erfolgreiche Bewegung der 1980er Jahre gegen die Apartheid in Südafrika an.

Ein Slogan der Protestmärsche ist: »Not another nickel, not another dime, no more money for Israel’s crimes!« [Sinngemäß: »Keinen einzigen Cent mehr für die Verbrechen Israels«].

An der UCLA wurde die Besetzung seitens der Polizei gestürmt. Was ist passiert?

An der UCLA wurde das Camp am 25. April aufgebaut, finanziert durch Geld- und Sachspenden der Studierenden und ihrer Unterstützer:innen. Die Universität gilt als No. 1 Public University [führende Öffentliche Universität in den USA]. Daher provozierte das Camp schnell Gegenmaßnahmen – sowohl von zionistischer Seite als auch der Campus-Polizei.

Es gibt eine Campus-Polizei?

Ja, Polizeidienststellen an US-Unis sind eine Normalität. Nach wiederkehrenden Konfrontationen zwischen den Leuten im Camp und Gegendemonstrierenden, formierte sich dann ein zionistisch-faschistischer Mob, der das Camp zunächst nächtlich lautstark, dann in der Nacht zum 1. Mai gewaltsam, u. a. mit ›Bärenspray‹ [ähnlich wie Tränengas] und Feuerwerkskörpern angriff.

Wie reagierte die Uni-Leitung?

Studentischen Berichten zufolge soll der Uni-Kanzler diesem Treiben von einem Fenster aus zugesehen haben, ohne einzugreifen. Er hatte bereits am 30. April das Camp zum illegalen Raum erklärt. Doch trotz ausbleibender Unterstützung konnten die Camper:innen die nächtlichen Angriffe erfolgreich abwehren.

Und dann griff die Polizei ein?

Ja. Am nächsten Tag wurden zunächst Heckenschützen der Polizei auf dem Dach des repräsentativsten Gebäudes der Universität, der Royce Hall, postiert. Dann formierten sich hunderte Polizeikräfte nahe des Universitätsgeländes. Die Polizei in voller Kampfausrüstung versuchte zunächst erfolglos das Camp zu stürmen. Bald schossen sie jedoch mit Gummigeschossen in die Menge, die bei den Studierenden teils schwere Verletzungen verursachten.
Gegen 1 Uhr nachts begann der Massenarrest. Insgesamt wurden in dieser Nacht 200 Studierende und Universitätsangestellte festgenommen, die mittlerweile alle wieder frei sind. Mindestens fünf meiner Bekannten waren unter den Festgenommenen. Wenige Tage später wurden 37 Studierende, die sich in einem Parkhaus aufhielten, unter dem Vorwurf der ›Verschwörung‹ ebenfalls festgesetzt.

Wie schätzt Du die Stimmung der Studierenden ein?

Obwohl ich vorwiegend mit dem radikaleren Teil der Studierendenschaft in Kontakt bin, habe ich den Eindruck, dass die Unterstützung für die Camps und Palästina insgesamt wächst. So ist positiv zu bemerken, dass verschiedene Fachbereiche sich hinter ihren Studierenden positionieren und dass die Gewerkschaftsgliederung UAW Local 4811, die die studentischen und postgraduierten Angestellten an allen Standorten der University of California vertritt, im Mai zu einer Abstimmung über einen Uni-Streik aufgerufen hat. Dabei geht es um Gaza selbst, aber auch um die zunehmende Polizeigewalt auf dem Campus. 79 Prozent haben nun für den Streik gestimmt! Er betrifft 48.000 Universitätsangestellte vom Bachelorstudenten bis zur Laborleiterin.

Allerdings tut die Uni-Administration nun alles, um einzelne Standorte herauszubrechen aus der Front. Derzeit ist unklar, wann und wie der Streik losgehen wird.

Es gibt auch berechtigte Kritik an der Gewerkschaftsführung der UAW Local 4811 für das Timing und die Ausgestaltung des potenziellen Streiks. Zum einen, weil sie offenbar die Standorte der Universität nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt in den Streik rufen wollen. Zum anderen, weil sie zwar die Polizeigewalt kritisiert, aber nicht die Forderung nach Abschaffung der Campus-Polizei mittragen will. Besonders wütend macht das jene Gruppen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion unabhängig von der aktuellen Situation in Nahost unter Diskriminierung und Schikanierung durch diese Campus-Polizei leiden.

Die Besetzungen sind von einer medialen Hetzkampagne begleitet worden. Wie schätzt Du die öffentliche Meinung in den USA zum Genozid in Palästina ein?

Ich denke, dass ähnlich wie in Deutschland, diejenigen, die Israel uneingeschränkt unterstützen, eine kleine aber sehr laute Minderheit sind. Die Regierung und viele Medien verleumden die Bewegung als antisemitisch, um ihre eigene rassistische Politik besser durchsetzen zu können. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich in den USA erstaunlicherweise sicherer gefühlt habe, meine Meinung zu Palästina öffentlich zu vertreten als hier in Deutschland.

Wird die Situation an den Universitäten Biden die Wahlen am Ende dieses Jahres kosten?

Gute Frage. Natürlich sind die Studierenden und Uniangestellten nicht die einzigen, die gegen Biden mobil machen. Eine verbreitete Parole ist: »Genocide Joe has got to go«. Allerdings gibt es wenige Alternativen und es scheint mir auch nicht so, dass die Bewegung andere Wahlempfehlungen gibt — wahrscheinlich, weil sie genau wissen, wie undemokratisch das sogenannte ›demokratische‹ Parlamentssystem in Amerika ist.
Auf jeden Fall war die Palästinasolidarität in der Lage, zum Beispiel bei den Vorwahlen der Demokraten in Michigan, viele Menschen zur Wahlenthaltung zu motivieren. Die Studierendenproteste verleihen solchen Kampagnen vielleicht noch einmal größere mediale Aufmerksamkeit. Ich würde aber keine Prognose wagen.


Schlagwörter: , , ,








Previous Post

76 Jahre Nakba - Wie der Staat Israel entstand

Next Post

Gegen das Verbot von Palästina-Solidarität Duisburg




More Story

76 Jahre Nakba - Wie der Staat Israel entstand

  Heute wird in aller Welt der ›Nakba‹ gedacht. Nakba ist arabisch und heißt auf Deutsch ›Katastrophe‹....

15. May 2024