Warum Schwangerschaftsabbrüche endlich legalisiert werden müssen
Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland rechtswidrig. Das regelt der §218 des Strafgesetzbuchs. Die Ampelkoalition hat alle Hoffnungen verraten, sie würde diesen frauenfeindlichen Paragrafen endlich abschaffen. Am 7. Dezember nun sollen Großdemonstrationen in Berlin und Karlsruhe Druck machen, um Abtreibungen zu legalisieren.
Von Karl Naujoks
In der Koalitionsvereinbarung versprach die Ampelregierung, eine ›Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung‹ einzusetzen, um »Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches« zu prüfen. Diese Kommission aus Expertinnen und Experten legte im April diesen Jahres ihren umfassenden Bericht vor. Ihr Urteil war eindeutig: Der §218 muss gestrichen und Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen grundsätzlich legalisiert werden.
SPD und Grüne knicken ein
Doch die Reaktion der Ampelregierung war ernüchternd. Anstatt die Empfehlung umzusetzen, betonten SPD, Grüne und FDP unisono, das Thema habe »Spaltungspotenzial«. Die grüne Frauenministerin Lisa Paus bat um Verständnis für ihre Untätigkeit, die Materie sei zu »komplex« und »emotional«. Der Vorstand der Grünen-Bundestagsfraktion wolle den »Fachinput sacken lassen«, berichtete Der Spiegel.
SPD und Grüne folgten der Position von CDU/CSU und FDP-Parteichef Lindner. Die behaupteten, die aktuelle Regelung habe einen »gesellschaftlichen Konflikt befriedet«. Das ist Unsinn. Eine repräsentative Umfrage, die Paus Ministeriums selbst in Auftrag gegeben hat, zeigt: Rund 75 Prozent aller Befragten wollen, dass Abbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden.
»Befriedeter Konflikt«?
Die aktuelle Situation ist eine Absurdität. Schwangerschaftsabbruch ist illegal, aber niemand wird dafür bestraft. Die Konsequenzen sind dennoch weitreichend. So sind Schwangerschaftsabbrüche in der Regel keine Kassenleistung. Sie sind auch nicht Teil der medizinischen Ausbildung und nachteilig für die Karriere von Ärztinnen und Ärzten. 65 Prozent der Mediziner, die Abtreibungen vornehmen, gaben an, deshalb Erfahrungen mit Stigmatisierung gemacht zu haben.
Folge ist eine flächendeckende Unterversorgung in Deutschland, vor allem auf dem Land. Laut der Expertinnen sind in 85 von 400 Landkreisen die »Kriterien für eine angemessene Erreichbarkeit von Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch nicht erfüllt«.
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel ausdrücklich versichert, genau diese Probleme zu beseitigen – doch ohne Abschaffung des §218 ist das nicht möglich.
So bleibt Abtreibung ein rechtlich verfügter Makel, der an den Betroffenen haften bleibt. Expertin Daphne Hahn erklärte im Interview mit der taz: »Mehr als die Hälfte der befragten Frauen fand es schwierig, ausreichende und gute Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu finden. Von denen wiederum hatte die Hälfte Angst, dass schlecht über sie gedacht wird, wenn sie einen Abbruch wollen.«
Ampelversagen – Opportunismus und Klassenarroganz
Die Ampelkoalition hat die Frauen verraten. Doch warum eigentlich? Unter den Wählerinnen und Wählern von Grünen wollen 92,4 Prozent den Paragrafen abschaffen, unter denen der SPD 87,5 – und selbst bei der CDU/CSU sind es noch 77,5 Prozent.
Es gibt einen banalen Grund für die Untätigkeit von Rot-Grün. Mit der derzeitigen Halb-Halb-Situation können jene Frauen, die Geld oder eine gute Ausbildung haben, deutlich leichter zurecht kommen als jene, die arm sind, schlechte Deutschkenntnisse haben oder sich durch den Zwangsberatungsmarathon verunsichert fühlen.
Es ist die Arroganz der Bessergestellten – Männer wie Frauen – die in der Missachtung der Probleme der Mehrheit der Frauen zum Ausdruck kommen. Der Paragraf 218 war und bleibt ein Klassenparagraf.
Zum anderen haben Grüne und SPD in der Regierung eine Scheu vor jeder Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft entwickelt. Als Regierungsparteien mögen sie keine Proteste gegen Preissteigerungen, gegen unsoziale Politik oder Waffenlieferungen an kriegführende Staaten. Gegenüber der Rechten hingegen machten sie routinemäßig Zugeständnisse, insbesondere in den Debatten um Abschiebungen sogenannter »illegaler Einwanderer«.
Das ist der Grund, warum sich Rot-Grün im April kleinlaut weggeduckt hat, anstatt die Empfehlungen der eigenen Expertenkommission zur Streichung des §218 klar und deutlich zu begrüßen. Mit der Empfehlung im Rücken hätten SPD und Grüne eine außerordentlich gute Ausgangsposition gehabt, um die FDP vor sich herzutreiben.
»Alles muss man selber machen«
Aber eins genau wollten SPD und Grüne nicht: Handeln. So kam es zu der ungewöhnlichen Situation, dass nicht die Bundesregierung oder irgendeine Bundestagsfraktion, sondern die Expertinnen Wapler, Wersig und Wörner im Oktober zur Tat schritten und einen eigenen Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen vorlegten.
So paradox es scheint: Das Scheitern der Ampel macht es nun wahrscheinlicher, dass der Do-it-Yourself-Vorstoß der Zivilgesellschaft zum Zug kommt.
Denn nach dem Ampel-Aus haben nun über 200 Bundestagsabgeordnete der Fraktionen SPD, Grüne und Die Linke einen überfraktionellen Gesetzesentwurf zur ›Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs‹ eingebracht. Er sieht die Legalisierung von Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen vor sowie die Abschaffung von Zwangsberatungen.
Der Kampf ist jetzt
Tatsächlich ist nicht damit zu rechnen, dass sich ohne eine massive Mobilisierung irgendetwas ändern wird. Erstens haben die drei Fraktionen allein nicht die notwendige Mehrheit im Bundestag und sind auf Stimmen von liberalen oder konservativen Abweichlerinnen angewiesen. Dafür müsste der Druck so stark steigen, dass sich auch Teile von deren Basis bewegen. Doch das ist wenig wahrscheinlich. Denn CDU/CSU und FDP befinden sich im Wahlkampf und riechen, dass ein Sieg über den Paragrafen 218 auch ein Sieg für die Linke insgesamt wäre.
Zum anderen geht der interfraktionelle Antrag genauso weit wie der Bundestagsbeschluss vom 26. April 1974. Damals reagierte die SPD-FDP-Koalition auf eine jahrelange, massive Mobilisierung unter dem Motto ›Mein Bauch gehört mir‹ und stimmte mit einer knappen Mehrheit für eine eben solche Fristenlösung. Die wurde dann vom Bundesverfassungsgericht 1975 nach einer Klage von CDU/CSU und der von ihnen damals kontrollierten Bundesländer kassiert. Die Klassenjustiz hat den Klassenparagrafen gerettet, trotz Bundestagsmehrheit.
Wir können gewinnen
Das Beispiel zeigt: Nur der dauerhafte Druck von unten wird etwas bewegen können. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen heute besser denn je. Die hohe Erwerbsquote von Frauen und die vielen Kämpfe der Vergangenheit haben ein Bewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung – bei Frauen wie Männern – geschaffen, dass der Paragraf 218 etwas Ungerechtes ist und abgeschafft gehört.
Es wird darauf ankommen, ob auf die Demonstrationen in Berlin und Karlsruhe am 7. Dezember eine länger anhaltende Massenmobilisierung folgt. Das Potenzial ist da.
Hier findest Du den Aufruf zur Demonstration – sei dabei!
Schlagwörter: §218, Frauen