Die Schwäche der Regierung nutzen, um Reallöhne zu verteidigen
Morgen beginnt die erste Tarifrunde des neuen Jahres bei der Deutschen Post. Es folgt der Tarifstreit im Öffentlichen Dienst. Die Konflikte sind wegweisend: ob die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di für die Beschäftigten etwas herausholen kann, wird von der Konfliktbereitschaft gegenüber der SPD-geführten Minderheitsregierung abhängen.
Von Claudia Müller
Auf den ersten Blick ist die Bilanz der Lohnkämpfe im letzten Jahr positiv. 2024 stiegen die Tariflöhne durchschnittlich um 5,5 Prozent nominal. Nach Abzug der Inflation ist das ein Reallohnplus von 3,2 %. Doch bei genauerem Hinsehen relativiert sich die Freude darüber.
Zum einen haben wir in jedem Jahr von 2020 bis 2023 Reallohnverluste hinnehmen müssen, bedingt vor allem durch die hohen Preissteigerungen bei Energie, Wohnen und Nahrungsmitteln.
Daher verdienen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende des Jahres 2024 real weniger als vor vier Jahren.
Außerdem gingen die Steigerungen in nahezu allen Branchen auch auf sogenannte Inflationsausgleichsprämien zurück. Dabei handelte es sich um steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen.
Die kurzfristige Wirkung ist verpufft, doch die Inflation der letzten Jahre wirkt nach. Daher wird es im kommenden Jahr darauf ankommen, mit kräftigen Prozentanhebungen die Reallöhne zu stabilisieren.
IG Metall-Abschluss ohne Vorbildcharakter
Die IG Metall hat im letzten Herbst gezeigt, wie man es nicht machen sollte. Die Vereinbarung aus dem November sieht für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie zum 1. April 2025 ein Plus von 2,0 Prozent, ein Jahr später dann weitere 3,1 Prozent vor. Dazu kommt eine Einmalzahlung von 600 Euro.
Dieses magere Ergebnis kam zustande, da die IG Metall-Verhandlungsführung bewusst auf Streiks zur Durchsetzung der viel höheren Ursprungsforderungen verzichtete.
Diese Passivität hat einen Grund. Der hauptamtliche Apparat der IG Metall ist eng verbandelt mit der SPD. Offenbar war er nicht bereit, nach dem Ampel-Aus die Regierungskrise durch sozialen Aufruhr zu verschärfen. Den Preis zahlen die Beschäftigten mit einer unterdurchschnittlichen Lohnentwicklung.
Öffentlicher Dienst in den Startlöchern
Die Gewerkschaft Verdi kann es 2025 besser machen. Denn uns stehen im Dienstleistungsbereich zwei große und wichtige Lohnauseinandersetzungen bevor. Die Tarifverträge bei der Post und im Öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen sind zum 31. Dezember 2024 ausgelaufen.
Deutsche Post: Für die 170.000 Postbeschäftigten fordert Verdi 7 % mehr Gehalt sowie 3 Tage zusätzlichen Freizeitausgleich. Am 8. Januar ging es in die erste Verhandlungsrunde. Das Geld ist da: Die Deutsche Post samt DHL machte im Jahr 2024 operative Gewinne von mehr als 5,8 Milliarden Euro. Obwohl der Bund Anfang 2024 für mehr als 2 Milliarden Euro Aktien der Deutschen Post verkauft hat, bleibt er größter Aktionär des Logistikunternehmens.
Öffentlicher Dienst: Für die 2,5 Millionen Beschäftigten, die bei Bund und Kommunen über den TVÖD entlohnt werden, folgt dann der Verhandlungsauftakt am 24. Januar. Nach Umfragen unter den Beschäftigten wurde sich auf folgende Forderung geeinigt: 8 % mehr Lohn (mindestens 350 Euro monatlich). Darüber hinaus höhere Zulagen für besonders belastende Tätigkeiten wie Wechselschichten, Nachtarbeit, Wochenend- oder Rufdienste. Alle Beschäftigten sollen drei zusätzliche freie Tage im Jahr erhalten. Auch die bestehende Benachteiligung der Teilzeitkräfte in Bezug auf Überstunden soll beendet werden, relevant für einen hohen Anteil der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen.
Kampfbereitschaft ohne politische Rücksichten
Der Erfolg in beiden Tarifrunden wird von zwei Faktoren abhängen. Einerseits von der Mobilisierung der Beschäftigten und andererseits vom Willen der Gewerkschaftsführung, die Schwäche der Arbeitgeberseite, insbesondere auf Seiten der Bundesregierung, für Zugeständnisse zu nutzen.
Faktor 1 dürfte gegeben sein: Im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, bei den Flughäfen, der Müllabfuhr, bei Sozial- und Erziehungsdiensten sowie Pflege- und Betreuungseinrichtungen ist bundesweit die Lage angespannt und die Kampfbereitschaft hoch. Diese Bereiche bergen eine explosive politische Sprengkraft und können durch synchrone und beherzte Streikaktion rasch Erfolge erzielen.
Dazu muss Faktor 2 stimmen: Den Verhandlungsauftakt für den Bund übernimmt die politisch geschwächte geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD. Verdi muss diese Schwäche als Einladung zum Druckmachen ansehen, und darf die Arbeitgeberseite nicht schonen.
Denn eines ist sicher: Eine Nachfolgeregierung unter Kanzler Merz wird gewerkschaftliche Nachsicht nicht mit nachträglichen Lohnzugeständnissen honorieren.
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