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Mannheim, Solingen, Magdeburg: Erhöht Zuwanderung die Unsicherheit?

Deutschland / 5. Januar 2025

Als kurz vor der Europawahl in Mannheim, und dann vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen in Solingen eine Bluttat verübt worden ist, überboten sich Regierungsparteien und Opposition in Forderungen nach konsequenteren Abschiebungen. Ein „Sicherheitspaket“ wurde verabschiedet. Es enthält eine Botschaft: Dass mehr Zuzug auch mehr Unsicherheit bringt. Das ist blanker Unsinn, meint Robert Neumann.

In Solingen erstach ein 26jähriger auf einem Volksfest im August drei Menschen und verletzte acht weitere Personen. Der Täter wurde nicht als geisteskrank beschrieben. Er war vollem eins: Syrer. Die Deutung, die nahezu vollkommen kritiklos in allen Medien verbreitet wurde: Wären weniger Menschen eingewandert, würde es auch weniger Gewaltkriminalität geben.

Diese rassistische Rhetorik spielte der AfD in die Karten. In Thüringen plakatierte sie mit der Parole: „Höcke oder Solingen“. Die anderen Parteien hielten nicht dagegen, sondern diskutierten ein „Sicherheitspaket“, das einige spezifische Maßnahmen gegen Kriminalität als solche beinhaltet. Darunter fallen erweiterte Befugnisse für die Polizei und andere „Sicherheitsbehörden“. Es sieht auch ein allgemeines Messerverbot für öffentliche Orte vor.

Institutionalisierter Rassismus

Doch im Kern richtet sich das Paket gegen Zugewanderte an sich. So sollen Menschen, die gemäß dem Dubliner Abkommen aus einem sicheren Drittland nach Deutschland einreisen, keine Sozialleistungen mehr erhalten. Außerdem verlieren Geflüchtete ihren Aufenthaltsstatus, wenn sie aus „nicht zwingend gebotenen“ Gründen in ihr ursprüngliches Heimatland reisen.

Mit anderen Worten: Asylbewerbern und anderen Geflüchteten soll das Leben in Deutschland schwer gemacht werden. Wie das die Sicherheit erhöhen soll, ist völlig schleierhaft.

Dafür werden sie als potenzielle Tätergruppe unter einen Pauschalverdacht gestellt. Mit dem Gesetzespaket haben die Regierungsparteien die faschistische AfD ermutigt, weiter zu gehen. In ihrem aktuellen Wahlkampfprogramm fordert sie nun eine „Rückführungsoffensive“.

Das „Sicherheitspaket“ ist letztlich nichts anderes als institutionalisierter Rassismus. Ihm liegt die These zugrunde, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Unsicherheit.

Statistiken, die lügen

In der öffentlichen Debatte werden Statistiken bemüht, die diese These stützen sollen. So erfasste das Bundeskriminalamt im Jahr 2023 deutschlandweit ohne ausländerrechtliche Verstöße 2.017.552 Tatverdächtige. Darunter waren 694.981 sogenannte „nichtdeutsche“ Tatverdächtige, davon 402.514 unmittelbar Zugewanderte. Insgesamt wurde in dieser Gruppe ein Anstieg von 29,8 % festgestellt. Der Anstieg der Gewaltkriminalität habe bei nichtdeutschen Tatverdächtigen 14,5% betragen, gegenüber einem allgemeinen Anstieg von 8,6 % im selben Zeitraum. Insgesamt sei der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger wesentlicher höher als ihr Anteil in der Bevölkerung.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist irreführend.

Zunächst erfasst keineswegs nachgewiesene oder gar verurteilte Straftaten, sondern lediglich erst einmal alle von der Polizei bearbeiteten Anzeigen. Die Statistik verweist zunächst auf die Arbeit der Polizei und dem Nachgehen eines Verdachts ohne einen wirklichen Nachweis darüber zu liefern, ob die Straftat wirklich von dem Tatverdächtigen begangen wurde. Der Kriminologe Tobias Singelnstein bestätigte: diese Statistik sage kaum etwas über die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung aus. Es „ist bizarr, wie sie Jahr für Jahr in der öffentlichen Debatte überinterpretiert wird.“

Die ARD-Dokumentation „Die Polizei und der Rassismus – Alles nur Einzelfälle?“, die im letzten September ausgestrahlt worden ist, belegt die Verzerrungen ganz praktisch. Darin beschreibt ein Polizist, wie die Springer-Medien in einer Kampagne systematisch die Unsicherheit im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg beschwören. Und wie daraufhin die Polizeiführung die eigenen Leute anweist, an bestimmten Tagen eine bestimmte Anzahl an Verdächtigen zu machen. Gezielt werden so Afrikaner oder andere Schwarze aufgegriffen, ohne dass etwas Konkretes vorliegt.

Soziale Unterschiede

Eine weitere Problematik liegt in der Statistik selbst. Unmittelbar Geflüchtete sind im Durchschnitt jünger, häufiger männlich und weit ärmer als der Durchschnitt der Bevölkerung. Würde man allein eine rein deutsche Bevölkerungsgruppe als Vergleichsgröße nehmen, die ähnlich männlich, jung und sozial benachteiligt ist, dann zeigten sich beinahe identische Zahlen. Durch den Vergleich mit der Gesamtbevölkerung wird die Realität verzerrt.

Ein Beleg dafür: Die Anzahl „tatverdächtiger“ Ukrainer ist niedriger als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Allerdings befinden sich hier viele Frauen und Kinder unter den Geflüchteten und somit keine statistisch auffällige Gruppe.

Psychischer Stress

Völlig außer Acht gelassen wird auch die soziale und psychische Situation von Zugewanderten und Geflüchteten. Meist verfügen sie über weniger und eher prekäre Arbeitsmöglichkeiten, ein geringeres Einkommen und einen oftmals unsichere Aufenthaltsstatus. Viele wohnen zusammengepfercht in Sammelunterkünften und besitzen aufgrund der angespannten Wohnungssituation keine Aussicht, zeitnah eine eigene Wohnung zu erhalten.

Überdies haben viele traumatische Erlebnisse aus Kriegssituationen zu verarbeiten. Ein „Sicherheitspaket“, das auf die Erhöhung der sozialen Unsicherheit ausgerichtet ist, verschärft diese Stresssituation – und die Gefahr, dass jemand unter dem Druck „ausrastet“. Mit der Nationalität hat das nichts zu tun.

Berichterstattung

Eine Studie der Hochschule Macromedia in Hamburg zeigte 2022, dass auch Fernsehberichte ihren Teil zur Wahrnehmung beitragen. Tatverdächtige wurden in 83 % Fällen mit der Herkunft genannt, wenn es sich um Nicht-Deutsche handelte, gegenüber 16,1 % Fällen von „Bio-Deutschen“. Ein Messerangriff von einem Deutschen auf einen Algerier in Rostock findet keine Erwähnung. Auch die Entführung eines arabischen Kleinkindes vor einer Berliner Einrichtung durch einen Mann aus Brandenburg führt zu keinen Diskussionen über dessen Herkunft oder Nationalität. Niemand stellt Brandenburger unter Generalverdacht, wenn sie nach Berlin einreisen.

Umkanalisierung von Existenzängsten

Zwischen Zuwanderung und Kriminalitätsentwicklung gibt es keinen ursächlichen Zusammenhang. Vielmehr werden tragische Ereignisse wie in Solingen oder auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg dazu genutzt, um Zugewanderte als Gefahr zu dämonisieren.

Tatsächlich kann das funktionieren, weil der Kapitalismus reale Unsicherheiten und diffuse Existenzängste erzeugt. Rassistische Parteien wie die AfD oder Kampagnenblätter wie die BILD-Zeitung kanalisieren diese Ängste um, und machen die Schwächsten und Gefährdetsten unter uns zu den Sündenböcken.

Das „Sicherheitspaket“ nützt uns nicht, es schadet uns. Denn es soll nach dem Prinzip des Teile-und-Herrsche uns Sand in die Augen streuen, um von den wahren Problemen und den wahren Schuldigen für Entlassungen, Angriffe auf den Sozialstaat und ein chronisch unterversorgtes Gesundheitssystem abzulenken.


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