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Streikwelle erreicht Telekom: „DIE LEUTE WOLLEN GELD SEHEN!“

Arbeitskämpfe & Gewerkschaft / Politik / 29. Mai 2024

Arbeitskampf mobilisiert Tausende – Verdi akzeptiert durchwachsenes Arbeitgeberangebot

Jahrelang mussten die Kolleginnen und Kollegen bei der Deutschen Telekom zuschauen, wie der Konzern immer mehr Gewinne macht – und ihre Löhne dennoch real gesunken sind. Es reicht, dachten sich viele, und traten in den Streiks. Sie sind Teil eines spürbaren Aufschwungs von Arbeiterkämpfen in den letzten Monaten. Nun liegt ein Verhandlungsergebnis zur Abstimmung vor – Frank Dunne* wertet es für uns aus.

Dem unternehmernahen Handelsblatt schwante Böses. Im vergangenen Februar berichtete es aus der Deutschen Telekom: Es würden Erhöhungsforderungen jenseits von 13 Prozent diskutiert, so höre man aus Gewerkschafterkreisen. Ein Beteiligter wird zitiert: „Alles unter elf Prozent wäre eine Enttäuschung. Die Leute wollen Geld sehen.“ Mit Streiks, die frühestens im April möglich sind, sei zu rechnen.

Hintergrund: Aufgrund der Inflation im Jahr 2022 (+7,9 %) und im Jahr 2023 (+5,9 %) klafft ein schmerzhaftes Loch in den Portemonnaies der Belegschaft. Laut Berechnungen des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische Verdi“ betrug der Reallohnverlust trotz vorheriger Tariferhöhungen in den letzten Jahren etwa 6 %.

Aktionäre profitieren

Dabei schwimmt der Konzern im Geld. Im Januar erreichte die Telekom mit gut 116 Milliarden Euro die höchste Börsenbewertung seit über 20 Jahren. Mitten in der laufenden Tarifrunde legte dann Konzernchef Höttges im Mai die aktuellen Zahlen vor. Der Konzernumsatz stieg demnach 2023 auf 27,9 Milliarden Euro. Das bedeutete ein Wachstum von 1,6 Prozent. Unter dem Strich entfiel auf die Aktionäre ein Gewinn von knapp zwei Milliarden Euro, nach rund 15,4 Milliarden im Jahr zuvor, als die Telekom vom Verkauf der Mehrheit an ihrem Funkturmgeschäft profitiert hatte. Das Management bestätigte in Gänze die positive Prognose für das laufende Jahr.

Warnstreiks statt Vollstreiks

Vor dem Hintergrund von Inflation und Konzerngewinnen kam es zu einer Streikbereitschaft, wie wir sie bei der Telekom seit langem nicht gesehen haben. Die Warnstreiks fanden größtenteils bundesweit statt und erzielten ihre Wirkung. Es zeigte sich: Je entschlossener gekämpft wurde, desto beeindruckter war die Arbeitgeberseite. Und je entschlossener gestreikt wurde, desto mehr Leute schlossen sich wiederum den Streikenden vor den Betrieben an. Bisher konnte die Gewerkschaft Verdi in diesem Arbeitskampf viele neue Mitglieder gewinnen.

Der Pferdefuß: Am Ende scheute die Führung von Verdi, die Mitglieder auf einen Vollstreik einzustimmen. Es blieb bei Warnstreiks – im krassen Gegensatz etwa zur Kampftaktik der GdL im Konflikt mit der Bahn AG.

Das Verhandlungsergebnis, über das wir nun in der Telekom abstimmen sollen, hat daher nicht die Möglichkeiten ausgeschöpft, die der Konzerngewinn und die Streikbereitschaft ermöglicht hätte.

So blieb es deutlich hinter den 11 Prozent, die der zitierte Gewerkschafter im Februar dem Handelsblatt als Mindesterwartung formuliert hat. Allerdings spiegelt dies auch den ungleichen Stand des Klassenbewusstseins im Gesamtbetrieb wider – nicht alle meine Kolleginnen und Kollegen waren derart radikal in ihren Erwartungen und sind mit dem Ergebnis nun einigermaßen zufrieden.

Höchste Tarifforderung der Konzerngeschichte

Zu den Details: Im Vorfeld der Tarifrunde wurden alle Verdi-Mitglieder in einem Forderungsfindungsprozess befragt, welche Priorität sie in dieser Tarifauseinandersetzung setzen würden. 90 Prozent der Befragten äußerten, dass sie sich durch die Teuerung der letzten Jahre finanziell stark oder sogar sehr stark einschränken müssen und stellten ein Lohnplus in den Vordergrund.

Heraus kam eine Forderung von 12 % höheren Entgelten, mindestens aber 400 Euro im Monat, bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Die Erhöhung der Vergütung der Auszubildenden und Dual-Studierenden sollte um 185 Euro im Monat steigen. Fakt ist: Dies war die höchste Forderung, die je bei einer Tarifrunde im Konzern gestellt wurde.

 

 

Das Angebot

Das Arbeitgeberangebot, das die Verdi-Tarifkommission nun den Mitgliedern zur Bewertung vorlegt, hat mit unseren Forderungen nicht viel zu tun. Die Laufzeit des Angebots beträgt 24 Monate, nicht 12 Monate. Danach erhalten Tarifbeschäftigte im Juli 2024 eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.550 Euro.

Erst nach einigen „Leermonaten“ werden ihre Entgelte zum 1. Oktober 2024 um 6,0 Prozent erhöht. Zum 1. August 2025 erhalten sie ein weiteres Lohnplus von 190 Euro monatlich als zusätzliches Monatsentgelt.

Auszubildende und dual Studierende bekommen im Juli 2024 eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 775 Euro. Zum 1. Oktober 2024 werden ihre Vergütungen um 95 Euro pro Monat erhöht, und zum 1. August 2025 erfolgt eine Erhöhung von 6,0 Prozent.

Anwendung fand der Trick, den viele Betriebe jüngst angewandt haben: Sie zahlen eine für sie steuerfreie, aber nicht tarifwirksame Einmalprämie, die das Ergebnis aufhübscht und die Leermonate übertüncht. Ein einmaliger Bonus, der keine nachhaltige Wirkung auf die Lohnhöhe hat.

Unterm Strich wirkt sich hier die Rücksichtnahme der Verdi-Führung gegenüber der vom SPD-Kanzlern Scholz geführten Regierung als hemmend für die Verteidigung unseres Lebensstandards aus.

Positiv zu vermerken: Es ist der Gewerkschaft gelungen, Telekom-Gesellschaften miteinzubeziehen, deren Tarifrunde noch nicht unmittelbar anstand, die jedoch für die Umsetzung eine zeitliche Verzögerung hinnehmen müssten. Teils konnte die Belegschaft dieser Gesellschaften die Tarifrunde mit Solidaritätsstreiks kräftig unterstützen.

 

 

Kritik am Angebot

Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi kritisiert mit Recht:

Laut Pressemitteilungen von Verdi „sollen mit dem Verhandlungsergebnis die Entgeltsteigerungen für Beschäftigte zwischen 8 und 13 Prozent betragen. Jedoch ergeben sich diese Beträge erst nach 18 Monaten, mit der zweiten Erhöhung im August 2025. Wenn die Nullmonate mit betrachtet werden, ergibt sich eine Steigerung von 3 Prozent in den ersten 12 Monaten und je nach Gehaltsgruppe ungefähr zwischen 2,5 und 5,5 Prozent in den nächsten 12 Monaten. … Insgesamt stehen dem Ergebnis aber ein Nachholbedarf aus den letzten Zeiträumen von über 6 Prozent und eine erwartete Inflation von 2,1 und 3,5 Prozent für 2024 und zwischen 1,8 und 2,5 Prozent für 2025 gegenüber. Unterm Strich bedeutet das weiteren Reallohnverlust für alle Beschäftigten.“

Rekordgewinn vs. Reallohnverlust

Beim immensen Erfolg des Unternehmens wäre sicher mehr drin gewesen. Das Unternehmen ist zur wichtigsten Marke in Europa geworden, hat im Jahr 2023 einen Rekordgewinn von 17,8 Milliarden Euro eingefahren und eine Erhöhung der Aktiendividende um 10 Prozent angekündigt.

Ein Erfolg, den die Belegschaft mit ihrer Arbeit erwirtschaftet hat.

Das Netzwerk für eine  kämpferische und demokratische Verdi empfiehlt vor diesem Hintergrund die Nichtannahme des Abschlusses – was die Neuaufnahme der Kämpfe erforderlich machen würde. Angesichts der guten Rahmenbedingungen teile ich diese Meinung. Man muss aber davon ausgehen, dass das Angebot in der Mitgliederbefragung angenommen wird.

Sicher wäre im Kampf mehr drin gewesen. Doch es gibt auch positive Aspekte. Es wurde gut gekämpft: lebendig, kreativ, laut und entschlossen. Für die nächste Tarifrunde ist es aber wichtig, noch mehr Kolleginnen und Kollegen für den Kampf zu gewinnen.

Oft standen bis zu 13.000 Leute vor den Betrieben. Doch der Konzern hat über 33.000 Beschäftigte allein in Deutschland. Eine gute Forderung kann nur dann annähernd erzielt werden, wenn noch mehr Kolleginnen und Kollegen ihre Macht erkennen, die sie kollektiv ausüben können.

Um den Kampf zu stärken und noch mehr Leute miteinbeziehen zu können, sind demokratischere Gewerkschaftsstrukturen von unten notwendig.

Viele aktiven Vertrauensleute vor Ort haben auch mit Resignation und den Folgen der jahrzehntelangen Co-Managementpolitik der Verdi-Führung zu kämpfen. Konzepte zur aktiven Streikbeteiligung wie Streikversammlungen vor den Standorten und Vernetzung auch über soziale Netzwerke stehen erst am Anfang. Die Aktivierung der Belegschaft ist aber der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb gilt es, in den Zeiten zwischen den Arbeitskämpfen die gewerkschaftlichen Strukturen von unten aufzubauen und Diskussionen über die Erfahrungen auf Abteilungsebene unter den Kolleginnen und Kollegen anzuzetteln.

* Zum Autor: Frank Dunne ist Kollege bei der Telekom in Nordrhein-Westfalen und hat sich aktiv am Arbeitskampf beteiligt.


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