Verdi-Tarifrunde bei Bund und Kommunen:
Hohe Kampfbereitschaft, enttäuschender Abschluss
Keiner konnte es übersehen: Im März legten Angestellte bei der Müllabfuhr, im Nahverkehr, an den Flughäfen oder staatlichen Kitas in ganz Deutschland immer wieder die Arbeit nieder. Dann haben sich die öffentlichen Arbeitgeber mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi auf einen Abschluss für 2,5 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen geeinigt. Er blieb weiter hinter den Erwartungen zurück – weil die Gewerkschaft sich selbst die Hände bindet. Claudia Müller erklärt die Hintergründe.
Der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst hat zu keinem Zeitpunkt annähernd sein volles Potenzial erreicht. Zu groß war die Rücksicht des hauptamtlichen Apparats von Verdi gegenüber den Arbeitgebern, die unter anderem von der geschäftsführenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vertreten wurden.
Und doch waren die Warnstreiks im März beeindruckend. Die Mobilisierung in den Betrieben lief auf Hochtouren, die Streikbereitschaft war so hoch wie nie. Allein in der Woche vor der dritten Verhandlungsrunde im März legten bundesweit mehr als 150.000 Beschäftigte ihre Arbeit nieder.
Das Personal der systemrelevanten Bereiche streikte teils tagelang. Betroffen waren unter anderem der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), die Krankenversorgung, Kitas, Müllabfuhr, Klärwerke, Flughäfen.
Geld für Soziales statt Aufrüstung
Die Forderungen, ermittelt in Mitgliederbefragungen, waren klar auf Inflationsausgleich gerichtet. Unter anderem wurde eine Lohnerhöhung über 8 % gefordert, mindestens aber 350 Euro. Außerdem höhere Zuschläge für belastende Tätigkeiten und zusätzlich drei freie Tage. Das alles bei einer Laufzeit von 12 Monaten, und nicht länger.
Neben Forderungen nach Reallohnerhöhungen und besseren Arbeitsbedingungen kamen auch die Milliardenpakete für Rüstung und Sondervermögen zur Sprache.
Auf Kundgebungen war zu hören: „Für das Militär, die Sicherheit ist Geld da, jedoch für die Beschäftigten gebt ihr nichts.“ Und: „Wir brauchen eine funktionierende zivile Infrastruktur und keine im militärischen Sinne. Das hilft uns überhaupt nicht weiter.“
Der Staat hat Geld für Rüstung, nicht Löhne
Und genau das war der Punkt, warum die „Arbeitgeber“ zunächst auf die Ursprungsforderung gar nicht eingingen. „Die Verdi-Forderungen würden Bund und Kommunen 15 Milliarden Euro kosten, das Geld ist nicht da“, so ließ die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) verlauten – genau an dem Tag, an dem der Bundestag eine Grundgesetzänderung für ein Aufrüstungsprogramm ohne jedes Limit und zusätzlich ein Sondervermögen von 500 Milliarden für Infrastruktur beschloss.
Dieses arrogante Haltung wurde gekrönt von der Weigerung, auch nur irgendein ein eigenes Angebot vorzulegen. Erst eine Woche später, zur dritten Verhandlungsrunde, legte Faeser dann einen Vorschlag über 2 % Lohnerhöhung ab Oktober 2025, weitere 2 % ab Juli 2026, und schließlich 1,5 % ab Juli 2027 vor – bei drei Jahren Laufzeit!
Dies hätte der Moment sein können, da Verdi die eigenen Mitglieder mit einem guten Argument in den Vollstreik hätte rufen können: 500 Milliarden und mehr für Rüstung, 500 Milliarden für die Infrastruktur – aber für uns sind 15 Milliarden nicht aufzutreiben. Was für eine Provokation!
Klassenkampf oder „Friedenspflicht“
Das Problem: Verdi wird wie alle Gewerkschaften von einem bürokratischen Apparat geführt, der solche Drucksituationen vermeiden will. Der Apparat hat kein Interesse an einem Vollstreik, in dem Millionen Beschäftigte kämpfen und der Widerstand nicht nur viele Streikgelder verbraucht, sondern auch eine für den Apparat unkalkulierbare Eskalation herbeiführt.
Deshalb hat sich die Verdi-Bürokratie 2011 vorsorglich auf eine Knebelung im Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVÖD) eingelassen. Laut dessen kann eine Seite im Arbeitskampf die Schlichtung anrufen, wodurch diese dann sofort und verbindlich für beide Seiten greift. Ab dem Moment herrscht „Friedenspflicht“ – der Streik muss abgebrochen werden.
Genau das nutzten die Arbeitgeber nun aus. Nach der dritten Verhandlungsrunde im März riefen sie die Schlichtung an. Die Gewerkschaft teilte der eigenen Mitgliedschaft mit: „Dieser Aufforderung zur Schlichtung muss Verdi folgen. So ist es in einer seit 2011 bestehenden Schlichtungsvereinbarung zwischen Bund, VKA und Verdi festgelegt.“
Medienhetze und Ausverkauf
Dann ging alles sehr schnell. Der Arbeitskampf wurde gestoppt. Aber die Medien schossen weiter für die Arbeitgeber aus vollen Rohren. Angesichts wachsender Müllberge und Verkehrschaos in den Kommunen fielen nicht nur die rechten, sondern auch die mittelschichtigen, linksliberalen Medienmacher den Beschäftigten in den Rücken.
So beklagte Simone Schmollack in der taz: „Das ist viel, und ja, das ist zu viel. Diesmal haben die Gewerkschaften mit ihren Forderungen überzogen. Denn die zugespitzte politische Lage hat nicht nur die Welt in Bedrängnis gebracht, sondern auch Deutschland – insbesondere finanziell. Unsere Sicherheit ist bedroht, bisherige Verlässlichkeiten sind weggebrochen, wir müssen für unseren Schutz jetzt selber sorgen. Dafür braucht es sehr viel Geld.“
„Geld für Rüstung, nicht für Löhne“: Sobald die Beschäftigten nicht mehr im Kampf standen, hatten sie keinen Ort, um sich selbst kollektiv gegen diese unisono in den Medien vorgetragenen Angriffe zu wappnen und öffentlich gegenzuhalten.
Die Schlichtung war dann ein abgekartetes Spiel. Karin Welge (SPD) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) benannten als Verhandlungsführerinnen für Bund und Kommunen ausgerechnet den als neoliberalen Hardliner des rechten Rands der CDU bekannten Roland Koch zum stimmberechtigten Schlichter.
Dies wurde nur noch durch den Ausverkauf die Gewerkschaftsführung getoppt. Verdi benannte den früheren Bremer Finanzstaatsrat Hans-Henning Lühr (SPD) als „neutralen“ Vermittler – eben jenen Herrn Lühr, der bis 2020 Vorsitzender des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bremen und Mitglied des Präsidiums der VKA war.
Der Vorschlag der Schlichtungskommission entsprach ihrer personellen Zusammensetzung. Im ersten Jahr soll es 3 % mehr Lohn geben, im zweiten Jahr 2,7 % – bei einer Laufzeit von 27 Monaten bedeutet das einen klaren Reallohnverlust angesichts von Preissteigerungen für Lebensmittel von teils über 30 % in den letzten Jahren. Gerächt hat sich hier auch, dass die Gewerkschaftsführung in den letzten Tarifrunde Einmalprämien als „Inflationsausgleich“ akzeptiert hatten, die nicht tarifwirksam waren und so die Löhne unnötig weit unten hielten.
„Schwieriges Ergebnis“
In der vierten Verhandlungsrunde wurde das empfohlene Schlichtungsergebnis dann mit geringfügigen Änderungen als „Einigung“ akzeptiert und in Verdi durch die Bundestarifkommission angenommen.
Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke erklärte: „Es ist ein schwieriges Ergebnis in schwierigen Zeiten.“ Das ist Unsinn. Die Kampfkraft war da, die Arbeitgeberseite aufgrund der vorgezogen Wahlen geschwächt und zusätzliche Mittel von voraussichtlich 1 oder 1,5 Billionen Euro für Rüstung, Straßen und Brücken vorhanden.
„Schwierig“ war einzig die Trägheit und Kampfunlust bei Wernecke und den anderen Vorstandsmitgliedern in Verdi.
Schlussfolgerungen
Der Frust in der Gewerkschaftsbasis darüber ist groß. Eine Mitgliederbefragung über den Abschluss läuft noch bis zum 9. Mai.
Ein paar Lehren lassen sich aber jetzt schon ziehen:
- Schlichtungsverfahren bei Tarifverhandlungen bedeuten immer Einflussnahme der Arbeitgeber auf die gewerkschaftliche Kampfkraft in den Betrieben. Sie haben die Funktion, die Mobilisierung abzukühlen. Streiks lassen aber sich nicht einfach ab- und wieder anstellen. Einmal ausgesetzt, sind die Arbeitgeber klar im Vorteil.
- Die vermeintlich „unabhängigen“ Schlichter kommen meist aus CDU/CSU oder SPD. Sie sind nicht neutral, sondern per se an einem Ende des Streiks und einem moderaten Ergebnis interessiert. Da in dieser Phase der Schlichtung jegliche Arbeitskämpfe und auch Aktionen außerhalb der Streiks unzulässig sind, können die Beschäftigten keinen Druck auf die schlichter aufbauen – während die Medien weiter für die Arbeitgeber trommeln.
- Der hauptamtliche Apparat in den Gewerkschaften hat ein Interesse an dem Instrument der Schlichtung, da seine Existenz nicht von ein paar Prozentpunkten abhängt, sondern von der Fähigkeit, sich als Unterhändler zwischen den Klassen, zwischen Kapital und Arbeit unentbehrlich zu machen.
Die Schlussfolgerungen aus diesen Lehren sind klar. Sozialistinnen und Sozialisten sollten in den Gewerkschaften wie Verdi arbeiten, die Mobilisierung in Arbeitskonflikten voranbringen und zugleich konsequent für die Abschaffung von Betrugsmaschen wie der Einrichtung von Schlichtungskommissionen argumentieren. Verdi muss die Schlichtungsvereinbarung aus dem Jahr 2011 wieder kündigen – dies ist die Voraussetzung für erfolgreichere Abschlüsse in den kommenden Jahren.
Schlagwörter: Verdi; Arbeitskampf; Öffentlicher Dienst