Verbote, Razzien, Festnahmen, Knüppelschläge, Schmerzgriffe, Tritte, Versprühen von chemischen Substanzen in die Gesichter von Demonstrierenden – um Aktivitäten der Palästinasolidarität zu unterdrücken, ist der Polizei fast jedes Mittel recht. Frank Dunne erklärt den Sinn dahinter.
Amtsgericht Berlin-Moabit, heute Morgen: Eine Menschenmenge versammelt sich, um eine Aktivistin aus der Palästina-Solidarität zu unterstützen. Ihr ›Verbrechen‹: Sie hatte auf einer Demonstration gerufen: »From the River to the sea, Palestine will be free«. Angesichts der Masse an Solidarität wird das Verfahren abgesagt. Das hindert die Polizei nicht daran, zuzuschlagen. Sie löst die Kundgebung gewaltsam auf und verhaftet mehrere Protestierende.
Diese Gewalt reiht sich ein in eine lange Serie repressiver Maßnahmen:
Im Januar schlägt die Berliner Polizei unprovoziert auf den Palästinablock der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration ein und verletzt dabei 16 Demonstrierende, teilweise schwer. Unter den Verletzten befindet sich ein mehr als 70 Jahre alter Rentner, der mit einem lebensbedrohlichen Schädel-Hirn-Trauma im Krankenhaus behandelt werden muss. Im April stürmt die Polizei den in Berlin stattfindenden Palästinakongress und dreht nach zwei Stunden kurzerhand den Strom ab. Im Mai räumt sie ein propalästinensisches, friedliches Camp an der Freien Universität Berlin und leitet 37 Strafermittlungsverfahren ein. In Duisburg wird im gleichen Monat die Palästina-Solidarität verboten, Polizeikräfte führen Razzien in Privatwohnungen durch und entwenden Datenträger. In Hamburg verbietet die Polizei 2023 für viele Wochen pauschal jede Demonstration für Palästina.
Angst vor Ausbreitung der Bewegung
Diese Liste ließe sich sehr lang fortsetzen. Was steckt hinter dieser enthemmten Polizeigewalt? Der unmittelbare Grund ist nicht schwer zu verstehen. Die Furcht der Regierenden vor dem Ausbreiten der Bewegung gegen den Krieg in Gaza scheint groß. Die bloße Tatsache, dass die Ampelkoalition zum zweitgrößten Waffenexporteur für den Völkermord ge- worden ist, darf nicht thematisiert werden.
Warum, verdeutlicht ein Beitrag des ARD-Magazin Panorama vom 18. April unter dem Titel »Todeszone Gaza: Waffen aus Deutschland«. Darin wird gezeigt, dass die Rüstungsexporte aus Deutschland von den israelischen Streitkräften dazu verwendet werden, die Menschen in Gaza zu massakrieren.
Ein Klima der Einschüchterung soll dazu beitragen, dass die Masse der Bevölkerung in Deutschland sich nicht weiter mit diesen Fakten befasst. Deshalb werden propalästinensische Demonstranten pauschal als ›Antisemiten‹ abgestempelt. Und deshalb setzt die Polizei massive Gewalt ein.
Das ist der Sinn des Geredes von deutscher ›Staatsräson‹: Für die Unterstützung Israels wird die Polizei gegen innere Gegner eingesetzt und sonst geltende Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausgehebelt.
Institution gegen Streikende
Es gibt noch einen tieferen Grund für die Polizeigewalt, die mit ihrer Funktion im bürgerlichen Staat zusammenhängt. Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht das. In Deutschland wurde die Polizei ab Ende des 18. Jahrhunderts Staat für Staat gegründet. In Berlin beispielsweise fand die Gründung 1809 statt.
Auslöser waren Arbeitskämpfe. Die industrielle Revolution war in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht abgehoben, jedoch kam es zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu rund 500 Gesellenstreiks in Handwerk und Manufakturen. Es war für die Herrschenden absehbar, dass eine Institution notwendig war, die diese Streiks kontrollieren und wenn nötig zerschlagen konnte.
So waren öffentliche Ordnung und politische Kontrolle damals wesentliche Argumente für die Gründung der Institution Polizei. Sie ist eine Organisation zur Sicherung der Interessen der herrschenden Klasse.
Funktion des Staates
Hier lohnt ein Blick auf die marxistische Staatstheorie. Friedrich Engels schrieb, Staaten seien mit der Spaltung der Gesellschaft in Klassen notwendig geworden. Der Staat sei das Eingeständnis, so Engels, dass sich die Klassengesellschaft
»in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist. Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlo- sem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Ge- sellschaft stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der ›Ordnung‹ halten soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangen, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat.«
Und um die Macht der Herrschenden über die ausgebeuteten Klassen zu sichern, ist es notwendig, dass der Staat mit Machtmitteln ausgestattet ist. Es geht um die Einrichtung einer öffentlichen Gewalt. Sie wurde einst nötig, »weil eine selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung unmöglich geworden [ist] seit der Spaltung in Klassen. […] Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art«. Diese Zwangseinrichtungen waren der Menschheit vor der Herausbildung der Klassen unbekannt.
Rassismus
Die Funktion der Polizei bringt einen tief in die Institution eingegrabenen Rassismus mit sich. Zum einen zieht ihre Rolle bei der Unterdrückung und Ausübung von Gewalt politisch rechts motivierte Bewerberinnen und Bewerber an. Zum anderen kommen Migrantinnen und Migranten aufgrund besonderer Gesetzgebung wie eingeschränkter Freizügigkeit und größerer Betroffenheit von Armut besonders rasch ins Visier der Beamten.
Zwischen 1990 und 2021 zählte die Kampagne Death in Custody 181 Todesfälle in Polizeigewahrsam. Darunter überdurchschnittlich viele Personen mit migrantischen Wurzeln. Der Tod Oury Jallohs, der 2005 gefesselt in einer Zelle des Polizeireviers Dessaus verbrannte, ist nur der bekannteste Fall der tödlichen Folgen dieses institutionalisierten Fremdenhasses. So ist es naheliegend, dass die Angriffe der Staatsgewalt gegen die Palästinasolidarität in nicht wenigen Fällen auch durch den verbreiteten Rassismus gegen Muslime befördert werden.
Sicherung der bestehenden Verhältnisse
Fazit: Die Polizei beansprucht das Gewaltmonopol über die Gesellschaft zur Machtsicherung der herrschenden Klasse. Sieht der Staat als Gesamtvertreter der Interessen der Herrschenden das kapitalistische System bedroht, dann setzt er die Polizei gegen Bewegungen von unten in Marsch. Das kann im Einzelnen die Sicherung von Kapitalinteressen betreffen, wie 2023 im Braunkohletagebau im nordrheinwestfälischen Lützerath. Oder ganz allgemein die Sicherung der imperialistischen Interessen Deutschlands wie aktuell im Nahen Osten – Israel soll vor jeder Kritik geschützt werden, egal was es tut.
Schlagwörter: Palästinasolidarität, Polizeigewalt