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Ukraine – Der ›Frieden‹, den sie meinen

International / 12. Mai 2025

Imperialisten streiten um ihren Anteil an der Beute

Der Krieg in der Ukraine zieht sich seit über drei Jahren hin und hat unzählige Menschenleben gefordert. Nach dem Amtsantritt übte Donald Trump massiven Druck aus, um zu einer Verhandlungslösung zwischen der Ukraine und Russland zu kommen. Mittlerweile haben Kiew und Washington einen ›Deal‹ beschlossen – doch der Krieg geht weiter.

Von Reuven Neumann

Noch kurz vor seiner Wahl zum US-Präsidenten prahlte Donald Trump, er würde den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden. Das entpuppte sich als heiße Luft. Dessen ungeachtet stießt er im Februar zunächst Separatverhandlungen mit der russischen Regierung an und übte parallel massiv Druck auf die Selenskyj -Regierung in Kiew aus. Er forderte von ihr eine Reihe schmerzhafter Zugeständnisse. Andernfalls würden die USA die Waffenlieferungen einstellen und sich auch aus dem Verhandlungsprozess verabschieden.

Hoffnungen angesichts Kriegstreiberei

Die herrschenden Klassen in Europa zeigen sich entsetzt und zugleich gespalten. Vor Trump hatten wir einen imperialistischen Stellvertreterkrieg mit zwei Fronten, in dem die NATO unter Führung der USA die Ukraine militärisch unterstützte. Nun haben wir einen Verhandlungsprozess mit drei Fronten. Darin nimmt die USA eine Zwischenposition mit eigenen Interessen ein. Ungeachtet des Getöses von Trump stützt sie bedingt die Ukraine weiter militärisch, aber Putin diplomatisch. Für die europäischen Interessen scheint kein Platz vorgesehen.

In Deutschland sehen das manche mit einer gewissen Hoffnung. In der Friedensbewegung wird argumentiert: Angesichts einer nicht enden wollenen Eskalationsspirale habe Trump in wenigen Wochen das geschafft, wozu die europäischen Regierungen in drei Jahren nicht imstande waren. Sahra Wagenknecht bezeichnete Trumps Verhandlungsangebote „als eine echte Chance auf einen Frieden“. Es sei „der große Fehler“ Europas gewesen, „immer nur auf Waffen zu setzen“.

Letzteres ist nicht zu leugnen. Noch im Januar zeigte sich die SPD empört, weil CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter auf X gemutmaßt habe, der damalige Kanzler Scholz wolle noch vor der Bundestagswahl Wladimir Putin treffen, um Optionen für einen Friedensschluss zwischen Moskau und Kiew auszuloten. Diese Behauptung wurde von Scholz brüsk zurückgewiesen; sie sei „infam und perfide“ so SPD-Generalsekretär Miersch. Und Friedrich Merz kündigte an, eine der ersten Maßnahmen als Kanzler würde die Lieferung von Taurus-Mittelstreckenraketen an die Ukraine sein, die Ziele in Moskau treffen können.

Worum es in dem „Deal“ geht

Es ist richtig, die Kriegstreiberei der Bundesregierung anzugreifen. Doch es ist Unsinn, deshalb Hoffnungen in Trumps Verhandlungsangebote zu setzen. Ihr einziges Ziel ist die Plünderung der Ukraine zum eigenen Vorteil.

Rückblende: Ende Februar war der ukrainische Präsident Selenskyj in Washington, um ein Rohstoffabkommen zu unterzeichnen. Die Pressekonferenz im Vorfeld endete im Eklat. Trump und sein Vizepräsident Vance demonstrierten ihre Macht, attackierten Selenskyj vor den Augen der Weltpresse.

Sie degradierten ihn zu einem Bittsteller und Rohstofflieferanten. Trump machte Selenskyj klar, er habe „nichts in der Hand“.

Das Abkommen sah vor, dass die Ukraine den USA einen privilegierten Zugang zu den wichtigsten Bodenschätzen des Landes zusichert. Es sollte ein gemeinsamer Fonds eingerichtet werden, in den die Ukraine die Hälfte der eigenen Einnahmen aus dem Bergbau und der Förderung fossiler Brennstoffe einzahlen solle. Dazu kämen Erlöse aus der Nutzung der Infrastruktur wie Häfen, Pipelines und Terminals.

Auf diesem Weg sollte die Ukraine am Ende 500 Milliarden Dollar einzahlen, die dann von den USA als „Schuldendienst“ abgeschöpft würden. Hinzu kommt das Vorrecht der USA auf neue Erschließungsprojekte – selbst wenn andere Staaten der Ukraine bessere Angebote machen würden.

Der Reichtum der Ukraine

Trump weiß um die Abhängigkeit der Ukraine. Sollte Selenskyj nicht unterzeichnen, werde er „ein paar Probleme, große Probleme“ habe. Zum Beweis ließ Trump zeitweise den ukrainischen Streitkräften den Zugang zu den unentbehrlichen Daten der militärischen Aufklärung abschneiden.

US-Firmen sollen von der Erpressung profitieren. Die amerikanische Bergbaufirma TechMet kündigte bereits an, großes Interesse an einer Ausbeutung des in der Ukraine reichlich vorhandenen Lithiums zu besitzen. Dieser Rohstoff ist einer der wichtigsten Rohstoffe in dem sich entwickelnden Markt für Elektroautos.

Daneben befinden sich in der Ukraine viele weitere wichtige Bodenschätze. In einer Ausarbeitung rechnet der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages vor, dass die Ukraine nur 0,4 % der Erdoberfläche bedecke, aber über rund 5 % der weltweiten Mineralressourcen verfüge. Bei einigen Rohstoffen rangiere sie sogar unter den ersten zehn der Welt.

In der Ukraine lagerten die zweitgrößten Erdgasvorkommen in Europa. Das Land besäße zudem „relevante Vorkommen“ von 117 der 120 meistgenutzten Industriemetalle, sowie die begehrten „Seltenen Erden“. Der Gesamtwert der Ressourcen belaufe sich auf bis zu 11,5 Billionen US-Dollar. Das Land könne daher als eine „potenzielle Supermacht bei der Produktion von Industriemetallen“ bezeichnet werden.

Europäische Heuchler

Die Bundesregierung und andere in Europa geben sich empört über die US-Politik. Tatsächlich verfolgen sie die gleichen Ziele.

Bereits 2023 benannte sie über 30 wichtige Rohstoffe, die bei Engpässen zu einem „Versorgungsrisiko“ führen könnten und daher eine unmittelbare strategische Bedeutung besäßen.

Kurz nach dem Eklat in Washington, der die Unterzeichnung des Abkommens mit den USA verhinderte, machte die Europäische Union der Ukraine ein eigenes Angebot, um sich den Zugang zu den Bodenschätzen des Landes zu sichern. Der zuständige EU-Kommissar Stéphane Séjourné erklärte: „21 der rund 30 kritischen Rohstoffe, die Europa braucht, kann die Ukraine in einer Partnerschaft zum beiderseitigen Nutzen liefern“.

Tatsächlich liefe auch dieser Deal nicht auf ein Abkommen auf Augenhöhe hinaus. Die Ukraine ist in Europa hochverschuldet – und wird nach dem Rückzug der USA militärisch von europäischen Mächten abhängen.

Frankreich und Großbritannien treiben deshalb seit Jahresbeginn die Bildung einer „Koalition der Willigen“ zusammen, die die Entsendung von Soldaten nach einem Waffenstillstand in die Ukraine an die künftige Demarkationslinie in die Ukraine vorsieht. In einem geleakten Papier ist in dem Zusammenhang von 50.000 Soldaten die Reden. 

Zusätzlich wurde vor kurzem von Großbritannien, Frankreich und Deutschland kürzlich ein Gegenvorschlag zu Trumps Vorstellungen für einen Waffenstillstand unterbreitet, der wiederum von den USA mehr Sicherheitsgarantien einfordert.

Hauen und Stechen unter den Imperialisten

Unter den imperialistischen Mächten hat ein Kampf um die beste Position im unübersichtlichen Verhandlungspoker begonnen. Es geht dabei nicht nur um Rohstoffe, sondern generell um die Neujustierung der Kräfteverhältnisse. Eine zunehmende Rolle spielt dabei auch die sich verschärfende Konkurrenz zu China, die den russischen Krieg in der Ukraine bisher unterstützt hatten.

Trumps Problem: Die begehrten Bodenschätze liegen zu einem großen Teil in dem von Russland eroberten Gebiet – und Putin macht keine Anstalten, diese den USA zu überlassen.

Der amerikanische Präsident Trump machte daher im April einen zweiten Vorschlag, um aus dem Konflikt als „Sieger“ hervorzugehen: Dieser sah die Anerkennung der Annexion der Krim durch Russland und das Einfrieren des Frontverlaufes vor – was auf nichts anderes als die Belohnung des russischen Raubzuges hinausläuft. Im Gegenzug sollen die USA das größte Atomkraftwerk Europas in Saporischschja erhalten und den Strom an beide verkaufen, die Ukraine und Russland.

Auch dieser Vorschlag war von der Zustimmung Putins abhängig, den Krieg einzufrieren und auf zusätzliche Geländegewinne zu verzichten. Der dachte gar nicht daran. So stellte sich nach 100 Tagen Präsidentschaft heraus, dass auch Trump keineswegs alle „Karten in der Hand“ hat. Im Ergebnis ließ er sich im Mai schließlich auf einen Deal mit der Ukraine ein, der das US-Diktat an einigen Punkten abschwächte. Im Kern gewährt das Abkommen weiterhin US-Firmen prioritären Zugang zu künftigen Bergbaulizenzen und die Aussicht, in zehn Jahren nach Einrichtung des gemeinsamen Fonds massive Gewinne in die USA abzuführen.

Konkurrenz auf dem Weltmarkt und Imperialismus

Trumps ging es nie um einen wirklichen Frieden, sondern um eine Aufteilung der vorhandenen Ressourcen der Ukraine zwischen den USA und Russland. Putin hingegen sieht gerade darin eine Chance, um weiter den militärischen Vorteil zu suchen und möglichst viel ukrainisches Territorium dauerhaft dem russischen Reich einzuverleiben.

Dies mag der ukrainischen Regierung gegenüber den USA vorübergehend etwas Spielraum verschafft haben. Das Land bleibt ein bloßer Spielball der Großmächte im Kampf um die Beute des Krieges. Auch nach einem möglichen Waffenstillstand wird sich der Kampf zwischen den imperialistischen Mächte USA, China, der EU und Russland um Märkte, Rohstoffe, Investitionen und Einfluss fortsetzen.

Das Letzte, was in diesem Wettlauf eine Rolle spielt, sind die Interessen der ukrainischen Bevölkerung. Die zieht daraus ihre eigenen Schlüsse: Warum in einem Krieg sterben, in dem es am Ende ohnehin nur auf ein Rohstoffgeschacher hinausläuft?

Laut BBC seien in der Ukraine bis Oktober 2024 mehr als 95.000 Strafverfahren wegen unbefugten Verlassens eines Dienstortes und Desertion anhängig gewesen. Aus dem Generalstab hieße es, die realen Zahlen lägen bei 100.000 bis 150.000.

Auf der russischen Seite sieht es nicht viel anders aus. Als Putin 2022 eine Teilmobilmachung anordnete, flohen 700.000 junge Männer ins Ausland. Mittlerweile greifen die russischen Imperialisten auf nordkoreanische Soldaten zurück, um Lücken an der Front zu stopfen.

Erster Weltkrieg: Revolution und Raubfrieden

Die Situation erinnert dabei fatal an den Ersten Weltkrieg, bei dem die zunehmende Konkurrenz um die Aufteilung der Welt durch ein aufstrebendes Deutschland in Frage gestellt wurde. Der Krieg begann im August 1914 und forderte Millionen von Toten. Gestoppt wurde das Morden erst, nachdem in den kriegführenden Staaten Russland und Deutschland Revolutionen ausbrachen.

Am Ende schlossen die Herrschenden im französischen Versailles einen Frieden, der den Verlierern, in dem Fall Deutschland, hohe Reparationslasten aufbürdete. Der russische Revolutionär Lenin verurteilte dieses Vorgehen und nannte den Versailler Vertrag einen „Raubfrieden“. Er werde nur den nächsten Krieg vorbereiten, sollten die Revolutionen nicht siegreich sein. Er sollte leider Recht behalten.

Wie damals sind in der Ukraine heute Hunderttausende Opfer zu beklagen. Und die einzige Lösung, die der Kapitalismus anbietet, ist ein genau das: ein Raubfrieden, der nur den nächsten Krieg vorbereitet. Der einzige Weg zum echten Frieden besteht in der Verbrüderung der ausgebeuteten Klassen auf beiden Seiten der Front.


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